Die aus dem Irak stammende More-Studentin Basma Al-Robai und der Rektor der Universität Klagenfurt Oliver Vitouch beim Skype-Interview mit dem UniStandard im Büro des Rektors.

Foto: Alpen-Adria-Universität / Barbara Maier

Basma Al-Robai ist gebürtige Irakerin. In Bagdad studierte sie, bis sie nach Österreich fliehen musste. Über das More-Programm, eine von der Universitätenkonferenz (Uniko) eingeführte Initiative, die Flüchtlingen den Besuch von Unikursen ermöglicht, kam sie zum Studium nach Klagenfurt. Rund 1.100 Flüchtlinge taten es ihr vergangenes Sommersemester gleich. Eine "erste Erdung" nennt Uniko-Chef Oliver Vitouch die Maßnahme. An seiner Hochschule würden die außerordentlichen Studierenden gut aufgenommen, betont der Rektor der Uni Klagenfurt im STANDARD-Interview.

STANDARD: Welche Rolle können die Universitäten bei der Integration von Flüchtlingen spielen?

Oliver Vitouch: Um Flüchtlingen eine Form der ersten Erdung zu bieten, hat die Universitätenkonferenz die Initiative More gegründet. Personen mit grundlegenden Kenntnissen in Deutsch oder Englisch bekommen als außerordentliche Studierende die Möglichkeit, in einer sehr turbulenten Situation ein Stück weit einen Hafen der Sicherheit zu finden. Idealerweise können sie das mit akademischen Inhalten kombinieren, die sie aus der Heimat mitbringen.

Basma Al-Robai: Das Programm erleichtert die Integration sehr, man muss nicht mehr auf sich allein gestellt auf den Asylbescheid warten. So können Flüchtlinge ein Teil der Gesellschaft werden und Menschen kennenlernen – das ist eine große Unterstützung.

STANDARD: Ist es das Ziel, Flüchtlingen auch ordentliche Studien zu ermöglichen?

Vitouch: Wenn die Grundvoraussetzungen dafür gegeben sind – also entsprechende Sprachkenntnisse und der erforderliche schulische oder akademische Hintergrund -, dann ist auch der Beginn eines ordentlichen Studiums für Flüchtlinge möglich.

STANDARD: Frau Al-Robai, welche Bedeutung hat es für Sie, nun in Österreich zu studieren?

Al-Robai: Nichts zu tun, außer auf den Asylbescheid zu warten – das ist wirklich hart. Meine Familie hat mir meine Zeugnisse geschickt, das ermöglicht mir nun, hier in Klagenfurt zu studieren. Ich habe das Gefühl, etwas erreicht zu haben.

STANDARD: Es sind rund 1100 Studierende im Programm. Laut Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (VP) besteht Luft nach oben – welche Hürden gibt es noch?

Al-Robai: Das Problem ist, dass viele dieses Programm nicht kennen. Auch die Sprache ist ein Hindernis – entweder muss man schon länger in Österreich sein, damit das Deutsch gut genug ist, oder man kann nur Lehrveranstaltungen in anderen Sprachen besuchen. Für ein ordentliches Studium muss man zudem Zeugnisse vorlegen, viele sind aber ohne Dokumente geflüchtet.

Vitouch: Migration ist kein Kindergeburtstag. Viele haben andere primäre Sorgen und Bedürfnisse, etwa eine Wohnung zu finden. Der Mensch lebt aber nicht vom Brot allein. Es kann erleichternd und entlastend sein, neben der Erfüllung der primären Bedürfnisse etwas anderes zu haben, woran man sich festhalten und aufrichten kann.

STANDARD: Deutlich weniger Frauen als Männer nutzen das More-Programm – woran liegt das?

Vitouch: Das hängt zunächst von der Geschlechterverteilung bei den Flüchtlingen ab. Weiters hat es wahrscheinlich mit Rollenbildern in harter und weicher Form zu tun: Welche Frauen hatten überhaupt in ihren Herkunftsländern die Möglichkeit, ein Studium zu beginnen – da wird die Verteilung deutlich anders aussehen als in Österreich. Auch nach der Ankunft in Österreich hat oder nimmt sich nicht jeder die Freiheit zu studieren. All diese Faktoren bewirken eine sehr schie- fe Geschlechterverteilung.

STANDARD: Obwohl der Anteil an Flüchtlingen klein ist, gibt es trotzdem jene, die daran Anstoß nehmen – vergangenen Juni haben die Identitären eine Vorlesung zu Migration und Flucht an der Uni Klagenfurt gestört – wie gehen Sie damit um?

Al-Robai: Ich habe von dieser Störaktion gehört, in meinem Alltag bin ich allerdings nie mit solchen Haltungen konfrontiert worden. Meine Studienkollegen sind sehr nett, es gibt von ihnen keine Drohungen und keine skeptischen Fragen.

Vitouch: Nach allem, was wir wissen, sind die wenigsten der sogenannten Identitären, die mit der Störung zu tun hatten, Studierende unserer Universität. Die meisten waren auch nicht aus Kärnten, sondern sind aus Graz angereist, um diese Störung zustande zu bringen. Ich habe keinerlei Anzeichen dafür, dass Studierende unserer Universität ein Problem mit internationalen Studierenden hätten. Zudem ist es so, dass die meisten More-Studierenden nur Einzelveranstaltungen besuchen, in Summe machen sie leider oder zum Glück – darauf gibt es unterschiedliche Perspektiven – nicht einmal eine Person in einem vollbesetzten Audimax aus.

STANDARD: Kommen wir zu einem weiteren unipolitischen Thema: Mitterlehner hat Ihren Vorschlag aufgegriffen, Studienplätze und deren Finanzierung nicht an den Anfängern zu bemessen, sondern an den Absolventen – wie kann das konkret funktionieren?

Vitouch: Es geht darum, auf seriöse Betreuungsrelationen zu kommen, die ein qualitätsvolles Studium ermöglichen. Aktuell gibt es einen enormen Verlust von der Anfänger- zur Absolventenzahl. Das hat viele Gründe, unter anderem den, dass es in Österreich sehr einfach ist, mehrere Studien zu belegen und nur eines oder keines abzuschließen. Ein Grundproblem ist, dass es eine besonders geringe Verbindlichkeit bei der Wahl des Studiums, der Zulassung und auch während des Studiums gibt. Die Orientierung an der Absolventenzahl ist sinnvoll, um einen Wert abzuleiten, wie viele Anfänger ein entsprechend ausgestattetes System sinnvollerweise verkraften kann: Absolventenzahlen plus beispielsweise 20 Prozent, um eine Benchmark zu finden, wie viele Anfänger Sinn machen würden.

STANDARD: Wie können die Verbindlichkeiten erhöht werden?

Vitouch: Derzeit sind die Universitäten schlecht in der Lage, die Prüfungsaktivität positiv zu beeinflussen. Auf der einen Seite spielt die Studierbarkeit des jeweiligen Curriculums eine Rolle – das ist beeinflussbar. Auf der anderen Seite spielen die Motivation, die Lebensumstände und das Verhalten der Studierenden eine Rolle – und das ist nur sehr eingeschränkt beeinflussbar. Es beginnt mit der Ernsthaftigkeit der Studienwahl. Auch die Vorbereitung auf Prüfungen würde ernster genommen, wenn man weiß, dass diese nicht in fast beliebiger Zahl wiederholbar sind. Studiengebühren sind ebenso eine Möglichkeit, das Commitment zu erhöhen – in der österreichischen Diskussion braucht es diese aber meiner Meinung nach nicht zwangsläufig.

STANDARD: Soll es Sanktionen geben, um die Verbindlichkeit zu erhöhen?

Vitouch: Ich bin kein Fan schwarzer Pädagogik, aber als Verhaltenswissenschafter weiß ich, dass Verhaltenskonsequenzen für künftiges Verhalten eine Rolle spielen. So funktioniert auch die Ökonomie und jedes menschliche Zusammenleben. Es ist in der Pädagogik bekannt, dass ein Laissez-faire-Erziehungsstil, also alles zu erlauben und wenig Feedback zu geben, zu Verwahrlosung führen kann, weil es so wenig Verbindlichkeit gibt. Wir wollen unsere Studierenden, auch wenn sie keine Kinder mehr sind, nicht völlig alleinlassen im Sinne von "Anything Goes". (Oona Kroisleitner, Tanja Traxler, 6.10.2016)