Wien – Offener Unterricht liegt in Österreich im Trend. Soll er allerdings gut gemacht werden, bräuchte es zusätzliche Ressourcen und mehr Vorbereitung der Lehrer – und beides fehlt derzeit, sagt die Grazer Bildungswissenschafterin Agnieszka Czejkowska im APA-Gespräch. Die Folge: "Derzeit wird vieles Offener Unterricht genannt, was gar keiner ist."

Beim Offenen Unterricht geht man beim Lernen von den Alltagserfahrungen der Schüler aus. Sie lösen dann in Einzelarbeit, zu zweit oder in der Gruppe Aufgaben, die ihnen per Tages- oder Wochenplan vorgegeben werden. Wo, wann und in welcher Reihenfolge sie das tun, entscheiden die Kinder selbst. Bei differenzierten Formen wird zusätzlich unterschieden zwischen Pflicht- und freiwilligen Zusatzübungen, beim sogenannten offenen Plan stellen die Schüler – unter Kontrolle des Lehrers – ihre Aufgaben überhaupt komplett selbst zusammen.

Kindorientiertes Lehren und Lernen

In dem dreijährigen Projekt "Kindorientiertes Lehren und Lernen" hat Czejkowska, die Leiterin des Instituts für Pädagogische Professionalisierung der Uni Graz, mit Kollegen an zwei steirischen Volksschulen untersucht, was für guten Offenen Unterricht notwendig ist. Stimmen die Voraussetzungen, lernen die Kinder nicht nur selbstständig neues Wissen zu erwerben. Es können laut Czejkowska sogar jene Leistungsunterschiede verringert werden, die die Kinder zu Beginn der Volksschule wegen ihrer unterschiedlichen sozialen Herkunft mitbringen.

Das Problem: Derzeit würden zwar Politik und nicht selten Eltern auf den als "neu" etikettierten Offenen Unterricht drängen, Schulen und Lehrer würden allerdings bei der Umsetzung alleine gelassen. Die Forderungen der Forscherin: Lehrer müssten künftig im Rahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung darin unterstützt werden, wie sie die Schüler sinnvoll auf selbstständiges Lernen vorbereiten können. "Werden die Kinder nicht rechtzeitig eingeführt, dann scheitern sie am Offenen Lernen, weil sie nicht wissen, wie es geht."

Mindestens zwei Lehrer in jeder Klasse

Unterstützung bräuchten Lehrer außerdem bei objektiver und kindgerechter Leistungsrückmeldung und dem Erstellen von Lernunterlagen, die auch tatsächlich Kompetenzen abfragen. Eigentlich müssten ihrer Meinung nach für diese Art des Unterrichts im Idealfall sogar mindestens zwei Lehrer in jeder Klasse stehen.

Czejkowska wehrt sich deshalb auch gegen ein Bild vom Offenen Unterricht, in dem der Lehrer nur noch "Lernbegleiter" sein muss und einfach die leistungsschwächeren Schüler von den leistungsstärkeren lernen. Eine gute Umsetzung des Konzepts bedeute für den Lehrer nämlich mehr und nicht weniger Aufwand als klassischer Frontalunterricht.

Und er birgt zusätzliche Gefahren: "Wird Offener Unterricht nicht gut vorbereitet, indem alle Kinder wissen, wie sie ihr Lernen organisieren müssen, werden soziale Unterschiede sogar noch verstärkt." Denn während Kinder aus bildungsnahen Familien in der Regel schon Vorkenntnisse haben, wie man selbstständig lernt und mit den im Offenen Unterricht verwendeten Formaten umgeht, fehlen diese den anderen. Schwächere würden dann, wie von Kritikern des Offenen Unterrichts vorgeworfen, tatsächlich allein gelassen.

Besser schlecht frontal als schlecht offen

"Provokant gesagt: Schlechter Frontalunterricht ist mir immer noch lieber als schlechter Offener Unterricht", sagt die Wissenschafterin deshalb. Denn bei Frontalunterricht hätten wenigstens alle Kinder den gleichen Zugang zu neuem Wissen. Überhaupt verwehrt Czejkowska sich dagegen, Frontalunterricht als autoritär oder Motivationsbremse zu verurteilen. "Guter Frontalunterricht ist eine super Unterrichtsform. Es geht nur darum zu hinterfragen, wann welches Format und welche Materialien am sinnvollsten eingesetzt werden können. Auf eine gute Mischung kommt es an." (APA, 5.10.2016)