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Google-Chef Sundar Pichai führt sein Unternehmen in eine neue Ära – und die beinhaltet auch die integrierte Entwicklung von Hard- und Software.

Foto: Eric Risberg / AP

Eines machte Google im Rahmen der Vorstellung seiner neuen Pixel-Smartphones unmissverständlich klar: Hierbei handelt es sich keineswegs um eine vorübergehende Laune. Mit dem 4. Oktober beginne eine neue Ära in der Firmengeschichte, in der der Verkauf von Consumer-Hardware eine entscheidende Rolle spielen soll – und in dieses Projekt werde man auch signifikante Ressourcen investieren.

Alles unter einem Dach

Ganz überraschend kam diese Ankündigung nicht, immerhin wurde schon vor Monaten bekannt, dass das Unternehmen unter der Leitung von Ex-Motorola-Chef Rick Osterloh all die bislang verstreuten Hardwaretätigkeiten unter einem Dach zusammenführt. Zuletzt folgte dann noch die Mitteilung, dass der Android-Hersteller David Foster, Amazons bisherigen Hardwarechef, abgeworben hat, um die Smartphone-Entwicklung zu leiten. Und doch war die Wortwahl in ihrer Vehemenz verblüffend, immerhin wirft eine Wandlung Googles zum kombinierten Soft- und Hardwarehersteller à la Apple auch zentrale strategische Fragen auf. Fragen, die der Grund dafür sind, warum Google bisher bewusst vor einem stärkeren Hardwareengangement zurückgeschreckt ist.

Seit Jahren ist die Strategie von Google klar: Das Unternehmen versteht sich als Serviceanbieter, dessen oberstes Ziel es logischerweise ist, dass die eigenen Dienste auf möglichst vielen Geräten laufen. Das ist der Grund, warum Google so viel Kraft investiert, um möglichst gute iPhone-Apps zu haben, anstatt einfach nur das eigene Android zu unterstüzten. Das ist aber auch der Grund, warum man das Hardwaregeschäft bisher eher als Hobby nebenbei betrieb. Immerhin bedeutet die Rolle als Serviceanbieter auch Partnerschaften eingehen zu müssen, um die Verbreitung zu maximieren.

Das beste Beispiel hierfür ist Android, das Google von Anfang an als Vehikel zur Verbreitung der eigenen Dienste entwickelt hat. Positioniert sich Google nun in so einem Modell selbst als ernsthafter Hardwareanbieter, tritt man damit in direkte Konkurrenz zu den eigenen Partnern, was diesen natürlich nicht gefällt – und den einen oder andern wohl auch über Alternativen zum Google-Angebot nachdenken lässt. Genau diesem Zwiespalt ist Google bisher aus dem Weg gegangen, indem man Nexus-Smartphones und -Tablets bewusst nur als Vorzeige- oder Entwicklergeräte positioniert hat, und selbst dies soll, wie immer wieder zu hören war, zu Konflikten mit Samsung und Co. geführt haben.

Spurensuche

Diese Feststellung wirft natürlich umgehend eine Frage auf: Was hat sich plötzlich geändert? Die Antwort dürfte wie so oft bei mehreren Faktoren zu suchen sein. Da wäre einmal der Punkt, dass sich die Rahmenbedingungen gerade nachhaltig verändern. So ist Google zwar weltweit ganz klar die dominierende Suchmaschine, gleichzeitig zeichnet sich aber auch ab, dass der klassischen Suche in Zukunft deutlich weniger Bedeutung zukommen wird als es bislang der Fall ist. Geräte wie der Amazon Echo verkaufen sich in den USA bereits prächtig, der allgemeine Trend zu digitalen Assistenten wie Siri oder Cortana, die direkt Antworten statt schlichten Suchergebnissen liefern, ist auch am Smartphone unübersehbar. Und es ist eine echte Bedrohung für Googles Kerngeschäft, wenn die Nutzer vermehrt Alexa und Co. befragen anstatt die Google-Suche anzuwerfen.

Insofern ist es kein Zufall, dass all die neuen Geräte ein Stück Künstlicher Intelligenz verbindet: Der Google Assistant ist sowohl ein zentraler Bestandteil von Google Home als auch der neuen Pixel-Phones, und natürlich kann er auch die Chromecasts steuern. In diesem Fall ist die eigene Hardware also Mittel zum Zweck, um dem Assistant zur Verbreitung zu verhelfen, und so die Konkurrenz in die Schranken zu verweisen.

Misstrauen

Gleichzeitig ist Googles Hardware-Push aber auch Ausdruck dessen, dass man den eigenen Hardwarepartnern offenbar nicht zutraut, gegen die integrierte Hard- und Softwareentwicklung von Amazon, Apple und Microsoft bestehen zu können. So stark die Marktposition von Android auch ist, besteht doch keine Automatik, dass sich diese auch auf andere, neue Bereich ausdehnt. Ein gutes Beispiel ist die Welt der größeren Tablets und der Convertibles, in der Android bisher kaum eine Rolle spielt, und die von Microsoft und Apple dominiert wird.

Zudem gab es zuletzt immer wieder Hinweise, dass Google zunehmend von der Veränderungsresistenz vieler seiner Partner entnervt ist. Kein Beispiel beschreibt dies besser als die aktuelle Update-Situation unter Android. Über die Jahre hat Google zahlreiche Versuche unternommen, die Hardwarehersteller dazu zu bringen, zeitnahe Updates für ihre Geräte anzubieten – mit sehr geringem Erfolg, wie die aktuellen Android-Versionsverbreitungsstatistiken zeigen.

Es ist davon auszugehen, dass dieser Umstand niemanden mehr stört als Google selbst. Immerhin bremst dies den Fortschritt der Plattform gehörig aus, von all den damit einhergehenden Sicherheitsproblemen ganz zu schweigen. Dass sich Android-Boss Hiroshi Lockheimer vor einigen Monaten dazu verstieg, die Android-Update-Situation wörtlich als "frustrierend" zu bezeichnen, spricht hier Bände. Ebenso wie der Umstand, dass Google den Einfluss der Partner bei Folgeplattformen – etwa Android Wear oder Android TV – massiv zurückgedrängt hat. Mit einer starken Hardwareposition will Google künftig also auch den bisherigen Partnern Beine machen, und sie dazu bringen, so manche bisherige Herangehensweise zu hinterfragen.

Kartellklagen

Doch es gibt noch eine weitere Motivation, die nicht übersehen werden sollte: Googles bisheriges Geschäftsmodell, Android als Open Source zu verschenken und die eigenen Interessen dann über Lizenzverträge mit den Partner voranzutreiben, hat das Unternehmen zuletzt einigen kartellrechtlichen Ärger bedroht. Es zeichnet sich ab, dass sowohl Russland als auch die EU Google dazu zwingen wollen, jene Bedingungen, die mit dem Zugang zum Play Store verbunden sind, zu lockern.

Dies hieße vor allem die Schwächung der prominenten Position der Google-Suche auf Android-Geräten aber auch die Reduktion der vorinstallierten Google-Apps – und damit eben exakt jene Dinge, wegen denen das Unternehmen seit Jahren viele Milliarden Dollar in die Entwicklung des Betriebssystems investiert hat. Bei eigener Hardware stellt sich diese Frage nun aber nicht, hier kann Google – wie Apple auch – vorinstallieren, was auch immer es will. Je stärker dann der Marktanteil der Pixel-Smartphones ist, desto besser stehen auch die Google-Services da, und desto unwichtiger werden die Vorschriften für andere Hersteller.

Klar ist bei all dem, dass man die neue Strategie nicht an der ersten "Made by Google"-Hardwaregeneration messen sollte. Dass diese lediglich einen ersten Schritt auf einer langjährigen Reise darstellt, betont auch das Unternehmen selbst. Jedenfalls sollte man Googles Ambitionen nicht unterschätzen: die Taschen des Unternehmens sind tief, und das interne Know-How von der Softwareentwicklung bis zum Prozessordesign ziemlich breit. Hier ist also für die kommenden Jahre einiges Potential vorhanden.

Hohes Risiko

Trotzdem bleibt Googles Hardware-Push ein Schritt, der mit gehörigen Risiken verbunden ist. An dem Umstand, dass eine solche strategische Neuausrichtung den bestehenden Partnern wenig Freude bereiten wird, hat sich nämlich nichts geändert. Google hofft wohl darauf, dass Android mittlerweile eine solche Dominanz hat, dass es sich Firmen wie Samsung nicht mehr leisten können, davon abzugehen. Gesichert ist dies aber natürlich nicht. Und bei kommenden Plattformen werden sich einige der bisherigen Partner wohl zweimal überlegen, ob sie noch einmal auf Google setzen wollen. (Andreas Proschofsky, 5.10.2016)