Riad/Kairo – Saudische Frauen auf internationalen Konferenzen, auf Einkaufstouren oder beim Studium in fremden Ländern – immer muss zuerst der männliche Vormund die Ausreise aus dem Königreich erlauben. Auslandreisen, aber auch Heiraten, ein Krankenhausaufenthalt, eine Geschäftseröffnung oder die Entlassung aus dem Gefängnis gehören zu jenen Tätigkeiten, für die die Erlaubnis eines männlichen Vormunds notwendig ist.

Um dagegen zu protestieren, haben nun rund 15.000 saudische Frauen einen offenen Brief an König Salman unterzeichnet, was im konservativen Königreich durchaus eine mutige Aktion ist. Persönlich an sein Büro übergeben durften sie das Schreiben allerdings nicht. Darin verlangen die Unterzeichnerinnen, dass die Hürden von den Frauen genommen werden, die dieses Wächtersystem mit sich bringt.

Auf Twitter formierte sich der Protest unter verschiedenen Hashtags wie "Stopp der Versklavung der saudischen Frauen" oder "Ich bin mein eigener Vormund". Der erste legale Vormund ist der Vater, er wird in der Regel vom Ehemann abgelöst. Schwierig wird es für Witwen, Geschiedene oder Frauen, die nicht heiraten. Nicht selten wird der eigene Sohn der Vormund der Mutter, was die Entmündigung besonders deutlich macht.

Dieses System besteht aus geschriebenen, aber auch ungeschriebenen Regeln, also einer informellen Praxis, die aber von privaten und Regierungsstellen umgesetzt wird. Sie basieren oft auf gesellschaftlichen Normen. Frauen aus höheren sozialen Schichten haben in der Regel weniger Probleme, aber alle sind vom guten Willen ihrer Wächter abhängig und Missbrauchsfälle sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Manchmal würden Männer von ihren Abhängigen hohe Summen erpressen, um die erforderliche Erlaubnis zu erteilen, hielt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) jüngst in einem Bericht fest.

Mufti kritisiert Initiative

Das Wächtersystem basiert auf einer extrem restriktiven Interpretation eines Koranverses, der die Frauen unter den Schutz ihrer männlichen Wächter stellt. Der Mufti des Königreichs hat auf die Initiative der Frauen mit der Bemerkung reagiert, dieses System abzuschaffen wäre ein Verbrechen gegen die Lehre des Islam. Dem widersprechen andere Theologen und Menschenrechtsaktivisten. 2009 und 2013 hat die Regierung vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf die Bereitschaft erklärt, die Wächter abzuschaffen. Erfolgt sind bislang aber nur Mini-Reformen. Etwa dürfen Frauen jetzt ohne Zustimmung des Vormunds eine Arbeit aufnehmen.

Das Königreich hat kürzlich mit seiner Vision 2030 einen Entwicklungspfad zu einem modernen, diversifizierten Land skizziert, in dem auch Frauen ihre Talente und Fähigkeiten einbringen sollen. Das Wächtersystem, das den Frauen grundlegende Rechte vorenthält, würde die Realisierung dieser Vision unterminieren, hält HRW fest. Derzeit sind gerade einmal zehn Prozent der saudischen Arbeitskräfte Frauen. (Astrid Frefel, 4.10.2016)