David Bowie in den mittleren 1970ern. In den USA suchte und fand er den Soul.

Foto: Parlophone

Wien – Der Tod sei nicht das Ende, sang Bob Dylan einmal. Biologisch ist das zwar ein Pofel, verwertungstechnisch aber eine wasserdichte Erkenntnis. Der heuer im Jänner gestorbene Popstar David Bowie ruft sie posthum in Erinnerung. Und das nicht zum ersten Mal. Wird die schwarze Innenseite seines letzten Albums Blackstar von der Sonne beschienen, erscheint ein Sternenhimmel. Doch wer das als letzten Gruß des Starman deutete, irrte.

Eben ist das Boxset Who Can I Be Now? erschienen, das das umfassende Erbe des 69-jährig verstorbenen Briten neu aufbereitet. Es ist die Fortsetzung des noch zu Bowies Lebzeiten erschienen Sets Five Years und umfasst Arbeiten aus den Jahren 1974 bis 1976. Die Besonderheit: Darunter befindet sich mit The Gouster ein bislang unveröffentlichtes Album. Der Begriff Gouster leitet sich von einem in Vergessenheit geratenen Slangwort her, das einen Dresscode afroamerikanischer Jugendlicher beschrieben hat, vornehmlich im Raum von Chicago. Das passte ins Konzept. Denn Bowie lebte zu jener Zeit in den USA. Mit der Kunstfigur Ziggy Stardust war er ein Star geworden, doch Bowie entsagte bald darauf dem Glitzer und orientierte sich nach dem unschlüssigen Album Diamond Dogs (1974) in Richtung Soul.

bn mgn

Los Angeles, wohin er zog, war dafür nicht gerade die erste Adresse, auch muss er dort wie ein Alien gewirkt haben: Bleich und ausgemergelt von seiner Koksdiät inmitten des Golden States, wo er vom Strand her Arnold Schwarzeneggers Schreie vernehmen konnte, wenn der gerade ausrangierte Eisenbahnwagons stemmte, einarmig, versteht sich.

Das drang schließlich doch in Bowies Wahrnehmung, also flog er an die Ostküste, rüber nach Philadelphia, um dort aufzunehmen. Philadelphia und Soul – das machte Sinn. Außerdem hatte Bowie von dort besser Zugriff auf Tony Visconti, seinen Produzenten und Freund. Und dessen Unterstützung war gefragt, denn Bowie war mit dem Sound nicht zufrieden, den er mithilfe der Musiker aus der afroamerikanischen Nachbarschaft erzielte.

Also bestieg Visconti den Flieger, fügte einem überarbeitungsbedingten Schlafentzug noch einen Jetlag hinzu und fuhr nach der Landung volley ins Studio, wo ihm die Aufnahme übertragen wurde. Er hatte gerade noch Zeit festzustellen, wie dünn und blass sein Freund Bowie aussah. Noch abgemagerter und durchsichtiger als sonst.

Mit Lennon ins Universum

So entstand die Mehrzahl der Aufnahmen, die 1975 auf dem Album Young Americans erschienen waren. Das beschied Bowie mit dem Lied Fame seinen ersten Nummer-eins-Hit in den Staaten und machte ihn richtig "big". Für Young Americans bediente sich Bowie teilweise des Songmaterials, das nun The Gouster bildet.

Dass es damals nicht erschienen war, lag an einem gewissen John Lennon. Den traf Bowie, nahm mit ihm eine (entbehrliche) Version des Beatles-Songs Across The Universe auf und schrieb mit ihm Fame. Diese beiden Lieder landeten auf Young Americans und besiegelten das Schicksal von The Gouster, das im Archiv verstaubte. Zwar fanden Teile davon in Neuauflagen als Bonuszuckerl ihren Weg an die Öffentlichkeit, als eigenes Werk liegt es nun zum ersten Mal vor.

Den Anspruch Soul erfüllt das Album am ehesten mit dem Song Can You Hear Me, in dem ein schwarzer Chor Bowies Gesang ein einschlägiges Bett bespannt, auf dem er tatsächlich sehr einnehmend um Tiefe ringt.

Zwischenwerk eines Vorwärtsstolpernden

Der Titelsong von Young Americans zeigt Bowie ohnehin in Bestform, andere Titel nehmen den minimalistischen Funk vorweg, über den die Talking Heads ein paar Jahre später ihre Pullunder zwängten. Nachzuhören in der Disco-infizierten Version seines Songs John, I'm Only Dancing (Again), das The Gouster eröffnet.

Das, so zeigt sich schnell, ist kein zurückgehaltener Meilenstein. Es erscheint als Zwischenwerk eines verschneiten Genies, das im Nebel vorwärts stolpert, dem Saxofonisten stellenweise zu viele Freiheiten zugesteht, am Ende aber doch jedem einzelnen Song Klasse verleiht.

Ob das die Anschaffung rechtfertigt? Schwierig. Der Rest der Box besteht aus remasterten Studio- und Livealben, allesamt leidlich bekannt, sowie einer Sammlung von Singles und B-Seiten. Wobei man verblendet sagen muss, dass das 1976 erschienene Station To Station als Sicherheitskopie in jeden Haushalt gehört. Dasselbe wird man sich 2017 einreden. Dann erscheint das nächste Boxset. Schwerpunkt: die Berliner Jahre David Bowies. (Karl Fluch, 3.10.2016)