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Das Handelsabkommen TTIP würde Unternehmen ihre Exportgeschäfte nur ein bisschen einfacher machen, sagt Paul Krugman. Die Nachteile des Vertrags deshalb in Kauf zu nehmen hält er nicht für vernünftig.

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STANDARD: Sie haben zu den Effekten des freien Handels zwischen Ländern geforscht. Jetzt sind Handelsabkommen in Europa und den USA unter Beschuss. Ein Problem?

Krugman: Die Abkommen heißen ja nur Freihandelsabkommen. In Wahrheit geht es bei den wichtigen Teilen der Verträge gar nicht um freien Handel. Es geht um geistiges Eigentum, um Schiedsgerichte. Es ist alles andere als klar, ob man als Fan des Freihandels diese Verträge unterstützen sollte. Ich sehe sie sehr ambivalent.

STANDARD: Die OECD und der IWF warnen vor Protektionismus.

Krugman: Bis jetzt sehe ich den nicht. Viele Fachleute haben geglaubt, dass die Länder in der globalen Rezession protektionistisch agieren werden. Es ist nicht passiert. Auch jetzt nicht. Der Handel wird mit diesen Abkommen ja nur ein klein wenig einfacher.

STANDARD: Die EU-Kommission argumentiert auch geopolitisch. Die USA und die EU sollen globale Standards setzen, bevor es die Chinesen tun. Nicht überzeugend?

Krugman: Ich bin mir nicht sicher. Es ist nicht klar, ob es je globale Standards geben wird. Wenn man bei den Befürwortern nachfragt, geben sie zu, dass es ökonomisch nicht so wichtig ist. Es gehe mehr um die geopolitische Symbolik, solche Abkommen zu schließen. Ich weiß nicht, ob der hypothetische Aufstieg Chinas als Argument reicht, wenn man die Abkommen ökonomisch nicht rechtfertigen kann. Wenn TPP ein limitierteres Abkommen wäre und die Schiedsgerichte nicht so industriefreundlich ausschauen würden, hätten mich die geopolitischen Argumente vielleicht überzeugt. Was wir in puncto Handelsabkommen machen, wird keinen großen Unterschied machen an der Rolle Chinas in der Welt.

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"Die drei wichtigsten Treiber hinter dem Phänomen Trump sind Migration, Migration und Migration."
Foto: APA/EPA/ALEX HOFFORD

STANDARD: Die Abkommen erregen die Gemüter, die Globalisierung wird mitverantwortlich für den wachsenden Nationalismus gemacht. Ist sie zu weit gegangen?

Krugman: Ist der Handel mit Gütern zu weit gegangen? Nein. Einige Unternehmen haben ihre Produktion auf viele verschiedene Länder aufgeteilt und fahren das jetzt wieder zurück. Da wurde ein Teil in Japan, der nächste in Korea und dann einer in China angebracht. Die sind vereinzelt zu weit gegangen, einige nannten das Hyper-Globalisierung. Ökonomen hätten ehrlicher sein sollen, dass es auch Verlierer gibt. Aber ich glaube nicht, dass wir global zu weit gegangen sind. Den meisten Menschen, die jetzt wütend sind, geht es nicht um Handel und Globalisierung. Vielleicht machen sie ihn dafür verantwortlich, aber darum geht es nicht.

STANDARD: Worum dann?

Krugman: Die drei wichtigsten Treiber hinter dem Phänomen Trump sind Migration, Migration und Migration. Die Globalisierung ist nur ein bequemer Sündenbock.

STANDARD: Was können wir daraus lernen, wenn sich zig Millionen US-Amerikaner einen Präsidenten namens Trump wünschen?

Krugman: Die Kernunterstützer von Trump sind weiße Amerikaner. Sie fühlen, dass das nicht mehr ihr Land ist. Und da liegen sie ja auch nicht völlig falsch. Der Wandel und die Diversität sind echt. Wenn Trump als Präsident kommt, würde ihr Leben zwar noch schwerer werden, aber das sei einmal dahingestellt. Es gibt aber keine Mehrheit für Trump, es sind vielleicht 40 Prozent. Viele Junge bleiben daheim, weil sie schlimme Dinge über Hillary Clinton gehört haben. Dafür mache ich die Medien verantwortlich. Aber ich sorge mich nach der ersten TV-Debatte viel weniger.

STANDARD: Könnte Trump wirtschaftlichen Schaden anrichten?

Krugman: Er könnte das globale Handelssystem auseinanderreißen. Es wäre sehr einfach für ihn, Schaden zu verursachen. Jetzt könnte man einwenden, das würde ja keinen ökonomischen Sinn machen. Aber vieles, was er sagt, macht keinen Sinn. Obwohl der wirtschaftliche Schaden im Vergleich mit anderen Schäden wahrscheinlich zweitrangig wäre.

STANDARD: Aber hat er wirklich die Macht, allein viel zu ändern?

Krugman: Ja, wenn es um Handel geht, definitiv. Die Behörden sind bei Anti-Dumping-Zöllen zum Beispiel eigentlich unabhängig, aber im Grunde arbeiten sie nach dem Willen des Präsidenten. Ein Präsident, der sich nicht um historisch gewachsene Normen schert – und das wäre Trump -, könnte das sofort politisieren. Wenn Trump gewinnt, dann wäre wahrscheinlich auch der Kongress republikanisch. Seine Parteifreunde leisten schon jetzt kaum Widerstand. Ich sehe keinen Hinweis, dass die nicht später alles unterstützen würden, was er vorhat.

STANDARD: Auch viele Länder in Europa richten sich nach innen.

Krugman: Ja, auch Österreich.

STANDARD: Verfolgen Sie die Geschehnisse in Österreich?

Krugman: Nur ein bisschen, aber bei euch haben ein paar beängstigende Leute viele Stimmen bekommen. Das ist interessant. Obwohl jedes Land Benachteiligte hat, ist Österreich eine der erfolgreicheren Nationen. Aber wie gesagt, die Menschen, die protestieren, liegen nicht ganz falsch. Viele weiße, männliche Westeuropäer haben das Gefühl, dass ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Und das gefällt ihnen nicht. Das ist nicht irrational.

STANDARD: Die Wende nach innen macht Reformen für den Euro unmöglich, die Sie für essenziell halten, also weitere Integration und Transfers. Wozu raten Sie jetzt?

Krugman: Ja, die Transferunion, die es bräuchte, damit der Euro funktioniert, ist vom Tisch. Dass der österreichische Steuerzahler teilweise das griechische Gesundheitssystem finanziert, ist für lange Zeit nicht vorstellbar. Wenn man eine Bankenunion mit einer gemeinsamen Einlagensicherung und eine bessere Wirtschaftspolitik hätte, die zwei, besser drei Prozent Inflation erzielt, dann könnte die Währungsunion zumindest halbwegs funktionieren.

STANDARD: Anders als Ihr Kollege Joseph Stiglitz raten Sie nicht dazu, den Euro abzuschaffen?

Krugman: Ich würde im Moment nicht für eine Abschaffung plädieren, auch wenn ich nachvollziehen kann, warum das andere tun. Ich glaube aber noch immer, dass Griechenland den Euro hätte verlassen sollen. Die Kosten für eine Auflösung der ganzen Währungsunion wären aber hoch. Das System ist es wert, noch einen letzten Rettungsversuch zu starten, um es zu reparieren.

STANDARD: Was tun wir, wenn weiterhin "deutsche" Wirtschaftspolitik gemacht wird, also gespart wird statt investiert?

Krugman: Dann haben wir ein Problem.

STANDARD: Wenn es ein Thema gibt, das Medien und Politik zu wenig beachten: Welches ist es?

Krugman: Wir sollten mehr über das Klima reden. Alles andere ist in der Relation völlig unbedeutend. Das Klima könnte auch eine Lösung für die wirtschaftspolitischen Probleme sein, die wir haben. Eine aktive Klimapolitik wäre ein wirtschaftlicher Stimulus für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Es ist erstaunlich, wie wenig wir darüber reden, auch wenn die Evidenz immer größer wird, dass wir auf eine Katastrophe zusteuern. (Andreas Sator, 3.10.2016)