Ein Anwalt und ein Filmemacher, die zum hochproduktiven Duo wurden: Krzysztof Piesiewicz (re.) hat die Drehbücher der berühmtesten Filme von Krzysztof Kieslowski verfasst.

Foto: Let's Cee

Wien – Der eine ist Anwalt, auf die Verteidigung von Oppositionellen spezialisiert; der andere ein bekannter Regisseur, der über die Prozesse gegen Solidarnosc-Aktivisten einen Dokumentarfilm plant. Sie treffen sich, aus einem Gespräch werden nächtelange Konversationen. Obwohl der Film aus verschiedenen Gründen schließlich nicht zustande kommt, kehrt der Regisseur täglich ins Gericht zurück. Er dreht, ohne aufzuzeichnen – mit leerem Magazin. Man erkannte, dass schon die Präsenz einer Kamera positiven Einfluss auf das Urteil hat. Ein imaginärer Film mit realen Auswirkungen.

Das ungewöhnliche Zusammentreffen, das dann auch noch 17 richtige Filme zur Folge hatte, viele davon gefeiert und preisgekrönt, hat der Schriftsteller Antonio Tabucchi in seiner Erzählung Festival festgehalten. Die Rede ist vom polnischen Filmemacher Krzysztof Kieslowski (1941-1996) und von Krzysztof Piesiewicz, dem Anwalt und späteren Politiker, der von 1985 an zu dessen Drehbuchautor werden sollte.

Entwicklungswege

Statt des Dokumentarfilms entstand schließlich der Film Ohne Ende (Bez konca), der die Erstarrung des Landes unter dem Kriegsrecht (1981-1983) regelrecht spürbar macht. Für beide Männer begann ein neuer Lebensabschnitt, gemeinsam vermochten sie Einschränkungen ihrer früheren Tätigkeit zu überwinden. Kieslowskis Werk wandte sich unter Piesiewicz' Einfluss vom Sozialrealismus ab und individuellen Schicksalen, universellen Fragestellungen zu. Der erste nachhaltige Ausdruck dieser Ausrichtung war Dekalog, Kieslowskis für das Fernsehen gedrehte Neuauslegung der Zehn Gebote.

Piesiewicz, der anlässlich einer Retrospektive der Filme Kieslowskis auch nach Wien kommen wird, erinnert sich im STANDARD-Gespräch, dass die Wurzeln dieses Zugangs zum Menschen in seinem Studium in Warschau lagen, wo er sich mit dem Totalitarismus befasste: "Ich bin dabei zu der Erkenntnis gekommen, dass autoritäre Systeme auf der Summe individueller Haltungen beruhen. Sie entstehen nicht einfach so, es gibt stets das Bedürfnis danach. Die Einzelnen sind es, die erst die Massen bilden, im positiven oder negativen Sinne."

Schon bei Ohne Ende, in dem ein toter Anwalt zu den Lebenden zurückkehrt und sie aus ihrer Verzweiflung zu reißen versucht, sei es ihm um das Innenleben der Menschen gegangen. Das Kriegsrecht habe das Feuer in den Menschen gelöscht. Als der Film herauskam, wurde seine Hoffnungslosigkeit von allen Seiten missverstanden. Das Regime sah ihn als Anleitung zur Revolte, die Opposition als Eingeständnis des Scheiterns. Die Kirche hatte ihre Bedenken mit der Liebe der Frau zu einem Verblichenen.

Sammlung an Wegweisern

Die Ausweitung auf parabelhafte Erzählungen, die gleichwohl fest im Polen der damaligen Ära verankert sind, wurde beim Dekalog noch deutlicher. "Der Dekalog beschreibt Leidenschaften, Verzweiflung, Liebe und andere Emotionen. Ich habe mir damals die Frage gestellt, wie sich die vollen Kirchen während des Kriegsrechts zur Realität verhalten", erzählt Piesiewicz. "Die Zehn Gebote waren für mich immer eine Sammlung von Wegweisern, keine Aufstellung von Sünden."

Die konkrete Zusammenarbeit mit Kieslowski erinnert Piesiewicz als arbeitswütige Zeit. Der Regisseur hat in der Regel an mehreren Projekten zugleich gearbeitet ("Als wir Drei Farben: Rot gedreht haben, hat Krzysztof in der Nacht Drei Farben: Blau montiert."). Gemeinsam mit dem Komponisten Zbigniew Preisner, der zur selben Zeit wie Piesiewicz hinzustieß, habe man eine Einheit wie bei einer neorealistischen Gruppe, wie etwa bei Tonino Guerra, Federico Fellini und Nino Rota, gebildet. "Als ich die ersten Drehbuchideen hatte, stand Preisner schon bereit – er war von Anfang an involviert. Die Zusammenarbeit war so eng, dass die Musik in mindestens einem Film die Charaktere direkt beeinflusst hat. Das war in Drei Farben: Blau."

Vielleicht habe er Kieslowski mit zu vielen Ideen überfallen, meint Piesiewicz heute. Mitte der 90er-Jahre hatte sich dieser, vom Regieführen erschöpft, zurückgezogen. Er habe nie an Kieslowskis Geschichtsidee geglaubt, dass die Schrecken der Vergangenheit wiederkehren würden. Dies sieht er heute angesichts der Verhältnisse nicht nur in Polen anders: "Kieslowski meinte, die Welt schlittere von einer Katharsis zur nächsten. Ich sehe eine große Kulturkrise. Die Kultur geht nicht mehr in die Tiefe. Das ist sehr schmerzhaft." (Dominik Kamalzadeh, 1.10.2016)