Die Botschaften auf Straches Facebook-Seite "sind wenig komplex und sehr niederschwellig", sagt Social-Media-Expertin Judith Denkmayr.

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STANDARD: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist mit fast 400.000 Fans der erfolgreichste österreichische Politiker auf Facebook. Wie erklären Sie sich seinen Erfolg?

Denkmayr: Grundsätzlich muss man einmal sagen: jahrelange Aufbauarbeit. Und auch ordentlich Digitalbudget. Das FPÖ-Werbebudget scheint überhaupt unerschöpflich. Dazu kommt: totale Konzentration auf eine Person auf Facebook und damit verbunden ein sehr klares "Markenversprechen". Jedes Posting hat mit Strache zu tun, ob es nur seine Meinung oder Perspektive zu einem Thema ist oder er selbst darin vorkommt: Die Marke spricht. Und seine Fans bekommen daher, was sie wollen. Auch sind die Botschaften wenig komplex und sehr niederschwellig, es geht eher um Emotionen und Werte statt um komplexe politische oder wirtschaftliche Sachverhalte. Solche Inhalte sind einfach via Social Web auch schwer zu transportieren.

Straches Seite ist außerdem für seine Anhänger nicht ein Parteimedium, sondern eine der wenigen Seiten, wo sie sich mit ihren Werten, mir ihrem Weltbild und ihrem Informationsansinnen abgeholt fühlen. Die Seite fordert ihre User nicht, sie bestätigt sie, unterhält sie und gibt ihnen so ein angenehmes Gefühl, nicht alleine mit ihrer Meinung zu sein. Da kommen die User doch auch gerne wieder. Daher teilen die User Straches Beiträge auch gerne, weil sie ihre vielleicht noch nie zuvor klar artikulierte Meinung aussprechen und bestätigen. Nicht zuletzt hat wohl auch die Medienberichterstattung ihren Teil beigetragen und die Vernetzung mit der AfD. 15 Prozent der Fans kommen aus Deutschland, das ist bei keinem anderen Politiker in Österreich so.

STANDARD: Wie wird mit den Anhängern kommuniziert?

Denkmayr: Sehr emotional, sehr persönlich. Die Tonalität ist authentisch. Er – beziehungsweise die Betreuer seiner Seite – verwenden glaubwürdig die Ich-Form. Er will Diskussionen anstacheln, nicht nur inhaltliche Themen unterbringen. Er hat verstanden, wie er den Kanal für sich und seine Zwecke nutzen kann.

STANDARD: Wie viele Leute betreuen Ihrer Einschätzung nach die Seite? Postet Strache auch selbst?

Denkmayr: Das lässt sich leider schwer sagen, wenn man Workflows dahinter nicht kennt. Ich nehme an, dass Herbert Kickl (FPÖ-Generalsekretär, Anm.) grob die Strategie vorgibt, ein parlamentarischer Mitarbeiter oder jemand aus der Partei die tagesaktuellen beziehungsweise inhaltlichen Postings formuliert und Kickl oder Strache wegen der Tonalität darüberschaut. Strache macht aber sicher Postings auch selbst, seine "Soft News"-Postings mit Hunden, Kindern oder Hasen. Dann ist ja da noch die Forenmoderation. Die zwar selektiv ist, aber sicher auch mindestens ein bis zwei Personen halbtags beschäftigt, hinzu kommen Wochenenden, vielleicht auch abends. Ich rechne also mit zwei bis drei Leuten, die relativ viel Zeit pro Woche investieren, je nach internen Workflows mehr.

STANDARD: Warum werden so häufig nur sehr kurze Text dazugeschrieben – oft nur ein bis zwei Wörter wie "zur Info", "Bezeichnend" oder "Traurig"? Was will man damit bei den Fans auslösen?

Denkmayr: Strache gibt mit seiner Kommentierung eine Einordnung in das kollektive Wertesystem bekannt. Dass Fans schreiben "Da bin ich anderer Meinung, weil ...", kommt eigentlich nicht vor. Die Inhalte und deren Interpretation von Strache auf der Facebook-Seite werden von den Fans nicht infrage gestellt. Und: Kurze Postings performen einfach besser.

STANDARD: Die Beiträge sind ganz unterschiedlich – von abfotografierten Zeitungsartikeln, die kommentarlos geteilt werden, bis zu seitenlangen Essays darüber, wieso die Regierung versagt und die FPÖ alles viel besser könnte. Gibt es trotzdem den "typischen" Strache-Post?

Denkmayr: Es gibt schon verschiedenen Formate. Da gibt es die "Vanilla Postings", "Soft News" wie jene mit Haustieren oder auch mit Norbert Hofer. Vanilla, weil das eine Geschmacksrichtung ist, die einfach jedem schmeckt und die kaum jemand ablehnt. Und dann gibt es die Meinungspostings: Die enthalten eine persönliche Anrede wie "Meine Freunde", einen Missstand inklusive Bewertung und meist auch einen Schuldigen.

STANDARD: Gibt es bestimmte Merkmale?

Denkmayr: Zunächst: gutes Timing. Sie springen meist optimal in der Frühphase einer Themenentwicklung auf ein Thema auf und verstärken es. Dann die authentische Bildsprache, die keine gestellten Pressebilder, sondern authentische, "nahe" Bilder beinhaltet, also mehr Köpfe, mehr "In-Action-Shots". Schließlich die Tonalität. Er spricht seine User so an, wie er es auch im Festzelt tun würde: persönlich mit "Liebe Freunde" oder "Liebe Österreicher". Er klingt nicht wie eine Institution.

STANDARD: Was zeichnet die Postings mit den meisten Interaktionen aus?

Denkmayr: Die drei meistkommentierten Postings sagen vor allem etwas über Facebook aus – alle drei sind Facebook-Live-Videos. Die sind derzeit einfach der Interaktions- und Reichweitenknüller. Die Fans bekommen eine Benachrichtigung, dass Strache live streamt, sofort gehen die Kommentare los wie bei einem Live-Chat, Likes werden abgegeben, und je mehr Kommentare, desto mehr Leute schauen zumindest mal kurz rein.

Jene mit den meisten Likes sind persönlich, emotional und authentisch. Die Fans wurden emotional abgeholt und ein "Wir machen weiter" kommuniziert. Es ging darum, die Stimmung der Fans ob der Niederlage nach der Bundespräsidenten-Stichwahl nicht kippen zu lassen. Dieses Posting (ein FPÖ-Sujet mit dem Titel: "Kriminelle Zuwanderer abschieben. Jetzt", Anm.) sagt, klassisch populistisch-vereinfachend, was wohl Strache und FPÖ-Wählern als Lösungsansatz am naheliegendsten scheint. Einfache Botschaften – keine Komplexität. Damit tun sich die anderen Parteien schwerer.

STANDARD: Wo sehen Sie Unterschiede zur Facebook-Präsenz von SPÖ, ÖVP oder Grünen?

Denkmayr: Die Parteien kommunizieren wie Institutionen, weniger persönlich, mehr auf Themen fokussiert, daher auch weniger emotional und komplexer.

STANDARD: Wo liegen mögliche Schwächen von Straches Facebook-Seite?

Denkmayr: Sie ist immer zu sehr auf Strache ausgerichtet gewesen. Wenn die Partei ihren Oppositionsstatus verliert und womöglich inhaltliche Botschaften transportieren muss, wird es schwierig. Weil man bisher nur auf die Personalisierung gesetzt hat. Die Seite stößt außerdem an ihre Grenzen. Zu viele Inhalte müssen derzeit über diesen zentralen Hub an die Zielgruppe herangetragen werden, das schadet der Seite langfristig gesehen.

STANDARD: Oft wird von "gefilterten Medienberichten", "veröffentlichter Einheitsmeinung" oder "Zensur" gesprochen, wenn es um traditionelle Medien geht. Was wird mit einer Wortwahl wie dieser beabsichtigt?

Denkmayr: Die FPÖ hat ein für sie und ihre Anhänger stimmiges Narrativ gefunden: "Wir werden nicht gehört, die klassischen Medien, die Journalisten der klassischen Medien lassen uns nicht zu Wort kommen, reden lieber über uns, drehen uns das Wort im Munde um." So beginnt fast jeder Redebeitrag von Strache oder Hofer mit "Lassen Sie mich ausreden" oder etwas Ähnlichem. Natürlich hat das Narrativ auch eine Historie beziehungsweise wird gut gefüttert durch Journalisten von Medien, die "den Blauen/Rechten/Nazis" keine Plattform geben möchten und das gerne auch in ihren Medien beziehungsweise in Social Media kundtun.

Mit den angeführten Phrasen wurde eine Strategie geschaffen, die sich die ablehnende Haltung vieler Journalisten und Medien zunutze macht und auch Druck auf diese aufbaut – ganz besonders nach Events wie der Silvesternacht in Köln wird so einfach Zweifel an Kompetenz und Motiven der Medien aufgebaut. Dass teilweise vielleicht auch andere, pragmatische, alltägliche Gründe wie Workflows in Redaktionen oder Ähnliches damit zu tun haben, wird dann als Erklärung auch nicht mehr akzeptiert. Daran merkt man meiner Meinung nach auch, wie hier eine Vertrauenskrise zwischen etablierten Medien und einem Teil der Bevölkerung entstanden ist. Stichwort: Lügenpresse. (Noura Maan, 2.10.2016)