Graben im Steinbruch der Biografie: Alex Capus.

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Alex Capus
Das Leben ist gut

Hanser 2016
240 Seiten, 20,60 Euro

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Lokalkolorit und weite Welt, Daheimgebliebene und Abenteurer: Alex Capus, studierter Historiker, ehemaliger Journalist, Schweizer Erfolgsautor und obendrein Barbesitzer, bewegt sich mit seinen Büchern gerne zwischen diesen Polen. Er beobachtet Alltägliches, fördert Historisches zutage, lässt Fiktion und Dokumentation verschwimmen, um seine Geschichten mit Geschichte aufzufetten.

Dem Afrikaforscher Werner Munzinger, vor dem NS-Regime flüchtenden Gelegenheitsbankräubern, Robert Louis Stevenson und Schweizer Firmengründern hat er ebenso Erzählungen und Romane gewidmet wie unauffälligen Kleinstadtbewohnern. Dass gerade der genaue, aber wohlwollende Blick auf den Alltag in der Provinz zu seinen Stärken zählt, hat Capus bereits am Anfang seiner Schriftstellerkarriere mit der formidablen Geschichtensammlung Eigermönchundjungfrau ebenso bewiesen wie zuletzt mit Mein Nachbar Urs.

Ein überzeugter Kleinstädter ist auch die Hauptfigur von Capus' jüngstem Roman Das Leben ist gut. Der Ich-Erzähler Max, Vater dreier heranwachsender Söhne, muss erstmals in 25 Jahren Ehe damit zurande kommen, dass seine Frau Tina vier Tage die Woche nicht das eheliche Bett teilt. Stattdessen lehrt sie ein Jahr lang als Gastprofessorin für internationales Strafrecht an der Pariser Sorbonne.

Distanz schärft den Blick

Die erste Woche der Trennung bildet die zeitliche Klammer, innerhalb der wir an Max' Alltag, seinen Begegnungen und Fantastereien teilhaben. Er könne seine Frau verstehen, sie müsse wieder mal weg aus diesem Kaff, beginnt das Buch. Schließlich sei sie wegen ihm im Ort hängengeblieben. Das Hadern mit der neuen Rolle als "umgekehrter Odysseus", dessen Penelope in die Welt hinauszieht, bleibt nicht aus.

Die Distanz schärft aber auch den Blick auf die Frau, auf die Beziehung und ihre Rituale. Die Spekulationen, wie es wäre, wenn man sich das erste Mal begegnen würde, ob man sich wieder verlieben würde, gehören zu den schönsten und überzeugendsten des Buches. Capus schreibt ebenso unaufdringlich, wie seine Hauptfigur durchs Leben wandelt.

Max ist nämlich ein im Grunde zufriedener Zeitgenosse, selbst beim täglichen Entsorgen von Altglas. Als Schriftsteller Mitte 50, bei dem sich nach einem größeren Erfolg Zweifel am Schreiben eingenistet haben, hat er sich sein Leben als Besitzer einer kleinen Bar gut eingerichtet. Einer Bar, die einst von spanischen Gastarbeitern gegründet wurde – mehrmals im Buch serviert Capus im Vorbeigehen selten beachtete Happen an Stadt- und Sozialgeschichte.

Übernommen hat Max die Bar, weil er sich in den "Kneipen des Städtchens entweder zu jung oder zu alt oder sonst wie fehl am Platz" fühlte und weil man seine Freunde nicht nur auf Facebook haben sollte. Freunde, die zwar in der Welt herumgereist, aber nie wirklich weggezogen sind, weil sie nicht unbedingt koffeinfreien Latte macchiato mit Sojamilch trinken müssen, wenn normaler Kaffee vollkommen reicht.

Beim eigenen Leben bedient

Spätestens hier wird klar, dass sich Capus für seinen neuen Roman augenfälliger als sonst beim Steinbruch der eigenen Biografie bedient hat. Zwar heißt die Bar, die Capus in seinem rund 18.000 Einwohner zählenden Heimatort Olten tatsächlich betreibt, Galicia Bar und nicht Sevilla Bar wie im Buch, aber in beiden hängt ein Toro, ein Stierkopf, der im Romanverlauf eine Freundschaft auf die Probe stellt. Und auch Capus' Frau im wirklichen Leben ist Strafrechtsprofessorin.

Das sympathische Plädoyer für das Pflegen realer Freundschaften und die Freuden des Nachbarschaftsbeisls geht Capus gut von der Hand. Wobei das Lob auf die Freundschaft nicht ganz frei von einem schalen Beigeschmack ist, sind es doch vor allem Männerfreundschaften, die von Max gepflegt werden. Als ausgerechnet der einst beste Freund eines Tages ausbleibt und nicht mehr mit ihm um die Häuser zieht, ist die Enttäuschung groß. Der Grund: eine deutliche jüngere Frau.

Schweizer Medien haben auch für diesen einst besten Freund ein reales Vorbild geortet, was wenig zur Sache tut. Allerdings wird man den Verdacht nicht los, dass das Wohlgefühl, das Das Leben ist gut vor sich herträgt, nicht ohne ein gerüttelt Maß Selbstzufriedenheit auskommt. Es tut dem Roman und seiner Hauptfigur gut, dass Max durch die neue Freundschaft zu einem schillernden Bewohner der Everglades in Florida und zu einer Reise im Kopf inspiriert wird. Man wünscht es ihm, dass er seine Reise eines Tages auch tatsächlich antritt oder er zumindest die Frau in Paris besucht. Dass selbst das schönste Idyll auf Dauer stickig wird, auch davon erzählen die Bücher von Alex Capus. (Karl Gedlicka, 2.10.2016)