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Ab 2017 kann in Österreich die Zeremonie für die Eingetragene Partnerschaft am Standesamt erfolgen. Dennoch gibt es für gleichgeschlechtliche Paare weiter Ungleichbehandlungen gegenüber der Ehe.

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Mario Lindner mit Bundeskanzler Christian Kern auf der Regenbogenparade.

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"Das ist doch heutzutage nichts Besonderes mehr!" Kaum eine Reaktion habe ich nach meinem Outing auf der Regenbogenparade im Juni öfter gehört als diese. Doch was sagt das über die politische Debatte in unserem Land aus?

Natürlich kamen diese Kommentare stets mit der Versicherung, dass es wichtig ist, Politikerinnen und Politiker zu haben, die sich öffentlich zu ihrer Sexualität bekennen. Und immer war der Zusatz angehängt, dass es selbstverständlich auch heute Rolemodels und Vorbilder braucht. Aber der Unterton war klar: Für die breite Masse der Menschen in meinem Umfeld – im steirischen Landl, in Graz, in Wien – ist ein schwuler Politiker längst kein Aufreger mehr. Und das ist ein wirklich gutes Zeichen.

Dass man mit einem öffentlichen Outing heute niemanden mehr besonders beeindruckt, hat einen einfachen Grund: Seit Jahren gibt es in Österreich ein klares Stimmungsbild – die Homo-Ehe scheidet längst nicht mehr die Geister. Eine Gretchenfrage ist das heute höchstens noch für eine Handvoll Politikerinnen und Politiker. Natürlich gibt es noch genug Menschen, die der Öffnung der Ehe aus religiösen, politischen oder schlicht persönlichen Gründen skeptisch gegenüberstehen. Das ist in einer pluralistischen Demokratie auch völlig in Ordnung. Aber die große Mehrheit der Bevölkerung bekennt sich in jeder Umfrage schon lange zu gleichen Rechten für gleichgeschlechtliche Paare. Dass die gleiche Ehe trotzdem noch immer nicht Realität ist, ist wohl ein typisch österreichisches Problem.

Drei Schritte nach vorn – aber nur mit einem Bein

Dabei ist unser Land im internationalen Vergleich ein krasser Sonderfall: Von Gerichten wurden in den vergangenen Jahren die meisten Diskriminierungen zwischen Ehe und Eingetragener Partnerschaft aufgehoben. Im Vorjahr wurde sogar die Adoption für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Und erst vor wenigen Tagen setzte die Regierung mit dem Vorstoß, bestehende Diskriminierungen bei Standesamt und Namensgebung auszuräumen, einen wichtigen Schritt.

Damit sind gleichgeschlechtliche Paare in unserer Republik aber mit der weltweit einzigartigen Situation konfrontiert, dass sie Kinder adoptieren und aufziehen dürfen, ihnen aber der formale Status der Ehe verwehrt bleibt. Es sieht so aus, als wären wir drei Schritte in die richtige Richtung gegangen, aber nur mit einem Bein. Das Recht auf Ehe ist nämlich noch immer nicht gegeben.

Ein Scheinkampf

Die politische Debatte, die wir rund um die Öffnung der Ehe führen, ist kaum mehr als ein Scheinkampf. Österreich ist nicht die USA. Die Frage der Gleichstellung entscheidet keine Wahlen und bewegt schon lange keine relevanten Wählergruppen mehr. Das wissen alle Beteiligten auch. Nicht zu Unrecht haben die meisten Menschen deshalb wohl das Gefühl, dass rund um die "Homo-Ehe" inzwischen kaum noch mehr als Floskeln ausgetauscht werden.

Das bedeutet freilich nicht, dass es nicht vielen ein echtes Anliegen ist, die Ehe-Öffnung endlich umzusetzen. Alle paar Monate flammt darüber eine mediale Debatte auf. Dann meldet sich das Gros der politischen Vertreterinnen und Vertreter zu Wort und fordert zu Recht ein, dass die Frage endlich gelöst wird – manche schweigen beharrlich, Gegenstimmen sind eine Randerscheinung.

Ehe öffnen – Ehe schützen

Dass gerade jene, die heute ihre Zustimmung verweigern, in Wahrheit das größte politische Interesse an diesem Schritt haben müssten, geht dabei aber unter: Waren es doch beispielsweise die Torys, die in Großbritannien die Ehe für alle Familien geöffnet haben. Nicht etwa, um neue Stimmen zu gewinnen, sondern aus zutiefst ideologischen Gründen – um die Institution der Ehe zu schützen. In Zeiten steigender Scheidungsraten und neuer Familienmodelle müssten es nämlich genau die Konservativen sein, die die Idee der klassischen Familie stärken sollten – egal welche zwei Individuen sich dafür entscheiden.

Doch das ist eine Spitzfindigkeit der politischen Debatte. Was in Österreich wirklich zählen sollte, ist, dass bisher mehr als 50.000 Menschen die Initiative "Ehe gleich" unterschrieben und dutzende Persönlichkeiten aus den unterschiedlichsten Lagern sich öffentlich dazu bekannt haben. Das macht diese Petition zu einer der erfolgreichsten des Jahrzehnts. Doch im Endeffekt zeigt sich bei allen Unterstützerinnen und Unterstützern vor allem eines: Unverständnis darüber, dass die Politik der Bevölkerung in dieser Frage weit hinterherhinkt.

Offene Baustellen gibt es viele

Im Licht dieses Scheinkampfes vergessen wir aber alle viel zu oft, andere Diskriminierungen in den Blick zu nehmen: Denn einen echten Diskriminierungsschutz auf Basis der sexuellen Orientierung – das sogenannte Levelling-up – gibt es in Österreich noch immer nicht. Und das in einer Zeit, in der homo-, bi- und transsexuelle Menschen in unserem Land noch immer viel zu oft mit Mobbing, Ausgrenzung und Diskriminierung konfrontiert sind.

Es würde unserer politischen Kultur guttun, sich in der Debatte um gleiche Rechte nicht nur auf die Frage der offenen Ehe zu konzentrieren: Dass Schülerinnen und Schüler wegen ihrer (vermeintlichen) sexuellen Orientierung gemobbt werden, dass Transgender-Personen im Alltag häufig mit unglaublichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, dass "schwul" noch immer als Schimpfwort verwendet wird – das alles zeigt, vor welchen Herausforderungen unsere Gesellschaft noch immer steht.

Genau deshalb war es mir wichtig, auch als Präsident des Bundesrates – einer Kammer, die oft unter ihrem Wert geschlagen wird – ein Bekenntnis zu diesem Thema abzulegen. Ich würde mir wünschen, in einer Gesellschaft zu leben, in der die Sexualität einer Politikerin, eines Musikers, eines Rettungsmanns und einer Hobbyfußballerin nicht nur niemanden mehr aufregt, sondern in der sie tatsächlich völlig irrelevant ist. Aber so weit ist unsere Republik noch nicht. Um dorthin zu gelangen, brauchen wir nicht nur die längst überfällige Gleichberechtigung in der Ehe, sondern eine echte und ernstgemeinte Debatte darüber, wo es sonst noch Diskriminierungen in unserer Gesellschaft gibt. Ohne Parteitaktik und ohne Schielen auf die nächste Wahl. (Mario Lindner, 3.10.2016)