Die österreichische Autorin Marlene Streeruwitz versteht sich nicht nur auf altfranzösische Namensgebungen, sondern hat auch einen aufmerksamen Blick für neueres Gossenvokabular.


Foto: Heribert Corn

Wien – Es ist womöglich von Nachteil, als Yseut durchs Leben zu gehen. Doch die Protagonistin in Marlene Streeruwitz' neuem Roman hat noch andere Handicaps als bloß ihren altfranzösischen Taufnamen. Der bedeutet so viel wie "Isolde" und wird angeblich "Üsutt" ausgesprochen.

Noch schwerer wiegt, dass sich im katholischen Heiligenkalender keine Märtyrerin gleichen Namens findet. Auch das ist etwas, was Yseut, eine Frau in ihren hohen Sechzigern, keine Ruhe lässt. (Der Zweitname "Ysabella" ist hingegen deswegen bezeichnend, weil man aus den beiden Initialen ein weibliches Chromosomenpaar bilden kann.)

Yseut blickt auf eine exemplarisch trostlose Kindheit und Jugend im fantasielos grauen Nachkriegsösterreich zurück. Auf eine überhastet geschlossene Ehe folgt der Exodus nach Kalifornien. In kleinen Trippelschritten erkämpft sich die Heldin, die mit einer traurigen Familiengeschichte gestraft ist, ein gerütteltes Maß an Freiheit. Diese bewahrt sie naturgemäß nicht vor Fehlschlägen. Doch Streeruwitz bleibt auch als Erzählerin Polemikerin. Zur Last gelegt wird dem Patriarchat nicht so sehr die Verfügungsgewalt über Frauen. Streeruwitz fuchst die bedenkenlose Indienstnahme von Gefühlen, die Ausbeutung weiblichen Engagements.

Die gestohlenen Begriffe

Das alles ist schlimm genug. Noch nachteiliger ist die Verweigerung geeigneter Anschauungsformen. Die Unterdrückung von Begriffen, mit deren Hilfe das Kontinuum jahrhundertelanger Gewalt aufgesprengt werden könnte.

Wie so oft im Werk dieser Autorin wird die Sprache als Instrument männlicher Machtausübung brutal in die Mangel genommen. Die Neuordnung der Ausdrucksmittel zeitigt Sätze, die man nicht ohne Bestürzung liest: "Yseut stand rund um ihr Leben in sich als Schwere." Man steht ein wenig ratlos gleich daneben.

Der niederdrückenden Schwere soll jedoch gerade abgeholfen werden. Yseut. ist am ehesten der Roman einer Flucht. Dabei will auch das Land der Liebe zielbewusst, in der übermütigen Laune milder Altersfrivolität, angesteuert sein.

Gemeint ist vielleicht sogar ein Ausbruch aus dem Gefängnis der Fiktionalität. Als Vehikel steht der Abenteurerin ein schlichter Pkw zur Verfügung. Mit diesem braust sie halsbrecherisch durch die norditalienische Po-Ebene, vorbei an Gussbetonzäunen und sauber parzellierten Feldern, die alle unter Wasserniveau liegen.

Michelangelo Antonionis Filmlandschaften stehen für diese Feldforschungsreise Pate. Die Erinnerung an die Italophilie der englischen Romantiker (Lord Byron) tut ein Übriges. Klarerweise kann solcherart kein Überblick entstehen. Yseut reist mit extrem handlichem Prosagepäck. Es sind die berühmt-berüchtigten Einwortsätze, die diese Autorin wie zum Hohn vor dem Leser aufschüttet.

Stolpern in Ellipsen

In Ellipsen stolpert Yseut in ein Landhaus, in dem ein greiser CIA-Agent sich durch einen Kehlkopfapparat mit ihr verständigt. Man meint, einer Krimihandlung beizuwohnen, ohne das Geringste zu begreifen. Oft und oft quält "Isolde" ein Ruhebedürfnis. Zahllos sind auch die Waschungen, die sich die Hauptfigur angedeihen lässt. Man könnte Yseut., das Buch, geradezu als Hohelied der gewissenhaften Hygiene ansehen.

Die Zeichen stehen aber auf Sturm. In Italien schmeißt inzwischen die Polizei politisch den Laden. Auch sonst geht das alte Europa vor die Hunde. Flüchtlinge dämmern in Scheunen vor sich hin und werden von der erfreulich praktisch veranlagten Yseut mit lauwarmer Pizza versorgt. Flüchtige Tändeleien mit einem gut aussehenden Mafioso ("Gio Gio") versickern erzählerisch folgenlos in den Lößaufschüttungen des Po. Man wird Zeuge neckischer Kostümfeste. Ein anderes Mal verirrt sich Yseut in einen Nostalgiepark, der sie an ihre kalifornische Hippie-Herrlichkeit erinnern soll.

Aus allen diesen Zutaten will nichts zusammenhängendes Ganzes entstehen. Mit spürbarer Erleichterung folgt man den Rückblenden. Der "Abenteuerroman in 37 Folgen" gleicht einem Tier mit Mammutrücken. Es steht nur leider auf viel zu schmächtigen Beinen. Unzählige Figuren werden vor uns aufgehäuft. Bleich sind die Papiertiger, fahl die Gespenster. Aber auch stärkere Frauen als Yseut würden unter der Last ihrer tausend Leben zugrunde gehen.

Yseut. ist das unmögliche Buch einer möglichst vollständigen Bestandsaufnahme. Und so ist man nach 400 Seiten froh, wenn die Pistole, die Yseut die ganze Zeit über mit sich herumgeschleppt hat, endlich losgeht. Sie richtet gottlob keine irreparablen Schäden an. Das tut auch dieses Buch nicht, dem man etwas mehr erzählerische Ökonomie dringend gewünscht hätte. (Ronald Pohl, 27.9.2016)