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Syriens Regierung lässt unter Russlands Mithilfe Bomben auf Wohngebiet abwerfen.

Foto: Reuters/ABDALRHMAN ISMAIL

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Damaskus / New York – Schlagabtausch im UN-Sicherheitsrat: Nach den heftigsten Bombardierungen Aleppos im gesamten syrischen Bürgerkrieg haben sich Russland und westliche Staaten am Sonntag in New York gegenseitig die Schuld für die Gewalteskalationen vorgeworfen.

Am Rande der Sondersitzung nahm der als zurückhaltend bekannte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon kein Blatt mehr vor den Mund. Was in Aleppo geschehe, sei "Barbarei" und "Kriegsverbrechen", sagte er vor Journalisten.

Angriffe auf Rebellen

Vorangegangen war in den vergangenen Tagen ein Bombenhagel der syrischen Regierung und seiner Alliierten auf die Rebellengebiete der belagerten Stadt. In Aleppo und seinem Umland wurden mehr als 230 Zivilisten getötet. Moskau ist ein einflussreicher Verbündeter von Präsident Bashar al-Assad.

Bereits am Samstag hatten unter anderem die Außenminister der USA, Deutschlands und Großbritanniens laut offizieller Übersetzung heftige Kritik an Moskau geübt. Die Geduld sei "im Hinblick auf Russlands fortgesetzte Unfähigkeit oder die fehlende Bereitschaft, seinen Verpflichtungen nachzukommen, nicht unbegrenzt", betonten die Minister nach einem Treffen in Boston. Moskau wies die Kritik zurück.

Delattre: "Aleppo für Syrien wie Sarajevo für Bosnien"

"Glaubt Russland wirklich, dass es Vertrauen gewinnen kann, wenn es auf der einen Seite über Waffenruhe verhandelt und auf der anderen das Regime unterstützt, das Aleppo bombardiert?", fragte der französische UN-Botschafter François Delattre in New York.

Der Botschafter fügte mit Nachdruck hinzu, dass "Aleppo in vielerlei Hinsicht für Syrien das ist, was Sarajevo für Bosnien war oder was Guernica für den Spanischen Bürgerkrieg war. Dieses Symbol der Zivilisation ist Gegenstand einer Belagerung im Stil des Mittelalters. Meine Damen und Herren, was für ein Rückschritt, und ganz ehrlich, was für eine Schande".

Der russische Botschafter Witali Tschurkin entgegnete hingegen, dass es inzwischen fast unmöglich sei, "Frieden nach Syrien zu bringen". Er beschuldigte Washington, "nicht ausreichend Einfluss auf die mit ihnen verbündeten Gruppen auszuüben" und damit seine Verpflichtungen für die Waffenruhe nicht zu erfüllen.

De Mistura: "Pechschwarze Dunkelheit in Ost-Aleppo"

Bans Sonderbeauftragter für den Syrien-Konflikt, Staffan de Mistura, appellierte an die USA und Russland, dem gebrochenen Waffenstillstandsabkommen noch eine Chance zu geben. "Als naiver UN-Vertreter hoffe ich, daran glauben zu dürfen, dass Ihre Zusagen ernst gemeint waren", drängte er die beiden Vetomächten.

Der Sonderbeauftragte schilderte zudem in bewegenden Worten die Lage in dem von ständigen Luftangriffen heimgesuchten Ostteil der Stadt Aleppo. "Wir haben Berichte, Videos und Bilder von gemeldeten Brandbombeneinsätzen gesehen, die so gewaltige Feuerbälle erzeugen, dass sie die pechschwarze Dunkelheit in Ost-Aleppo erleuchten, als ob es Tag wäre."

"Wir hörten die Worte 'nie da gewesen', sowohl was die Anzahl als auch was den Umfang und Typ der Bombenangriffe betrifft", so der Vermittler. Von bunkerbrechenden Bomben sei die Rede, es gebe Bilder von Erdkratern, die viel größer als bei früheren Bombenangriffen seien. "Zivilisten überall in der Stadt müssen sich fragen, wo sie in dieser gequälten Stadt noch sicher sein können."

Unicef: "Vergleichbar mit den Gräueltaten, die im Zweiten Weltkrieg verübt wurden"

Aleppo ist die letzte verbliebene Großstadt in Syrien, in der Rebellen noch größere Gebiete kontrollieren, und gilt also wichtigsten Schlachtfeld in dem fünfeinhalb Jahren andauernden Konflikt. Mindestens 250.000 Menschen harren im belagerten Ostteil der Stadt trotz widrigster Lebensumstände aus. In ganz Aleppo sollen zwei Millionen Menschen von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten sein.

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef warnte, im Osten Aleppos seien schätzungsweise 100.000 Kinder in akuter Gefahr. "Die Intensität und die Rücksichtslosigkeit sind vergleichbar mit den Gräueltaten, die im Zweiten Weltkrieg verübt wurden", sagte der Sprecher von Unicef Deutschland, Rudi Tarneden, dem NDR.

Die Gewalteskalation in Syrien nach dem Zusammenbruch der Waffenruhe legt Beobachtern aus Washington und Moskau zufolge den Schluss nah, dass Russland und die syrische Regierung es für möglich halten, den Krieg militärisch gewinnen zu können. Eine Eroberung der Stadt könnte für das Regime einen Wendepunkt im Bürgerkrieg bedeuten. (APA, red, 26.9.2016)