Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) möchte mit einem Reformpaket für mehr Transparenz im Rechtssystem sorgen. Künftig sollen Urteilsverkündungen samt Begründungen live im Fernsehen übertragen werden können. Die Verhandlung selbst soll jedoch nicht gezeigt werden, da TV-Kameras laut Brandstetter das "Verhalten der Zeugen" beeinflussen könnten. Ebenso sollen abweichende Meinungen von einzelnen Höchstrichtern nicht publik gemacht werden.

Diese Forderung war nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) zur Wiederholung der Bundespräsidentenwahl laut geworden. "Die Entscheidung ist konsistent mit der früheren Rechtssprechung und daher überzeugend", sagte Brandstetter im STANDARD-Sommergespräch mit Autor Robert Schindel. Brandstetter plädierte abermals für eine neue Variante der Vorratsdatenspeicherung, die aber "gemäßigter als die vom VfGH gekippte alte Regelung sein soll.

derStandard.at

STANDARD: Herr Schindel, sind Sie über die Wiederholung der Bundespräsidentschaftswahl verärgert?

Schindel: Nein, ich finde, dass das im Wesentlichen in Ordnung verlaufen ist. Das allgemeine, geheime Wahlrecht ist in den vergangenen Jahren ein bisserl nachlässig gehandhabt worden. Das ist ein recht gesunder Prozess jetzt.

STANDARD: Hatten Sie Angst, dass die FPÖ bei einer anderslautenden Entscheidung den Verfassungsgerichtshof attackiert?

Schindel: Ach, Angst ist zu viel gesagt. Die hätten das sowieso gemacht. Ich verwende da den Ausdruck "gesellschaftliche Radaubrüder" – die sich keine Gelegenheit entgehen lassen, gegen den Rechtsstaat vorzugehen, wenn er nicht in ihrem Sinne agiert.

STANDARD: Ich nehme an, der Justizminister wird den Entscheid nicht kommentieren ...

Brandstetter: Ich habe mich noch keiner Frage verweigert – sehr zum Leidwesen meines Presseteams. Gerade im Zusammenhang mit der Wahl fällt mir immer der Spruch ein: "Wir hatten kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu." Aber wenn man die bisherige Judikatur des VfGH kennt, stellt man fest, dass die Entscheidung konsistent mit der früheren Rechtsprechung ist – und daher auch für mich überzeugend.

Robert Schindel (links) und Wolfgang Brandstetter (rechts) unterhalten sich über Edward Snowden und James Bond.
Foto: Standard/Cremer

STANDARD: Sollten künftig die Entscheidungen der einzelnen VfGH-Richter publik gemacht werden?

Brandstetter: Es gibt einen Interessenkonflikt zwischen Transparenz und Autorität eines Höchstgerichts. Es gehört auch zur Rechtsstaatlichkeit dazu, dass dann, wenn ein Höchstgericht gesprochen hat, "a Ruah" is.

Schindel: Außerdem kann es bei den Beteiligten eine Schere im Kopf erzeugen.

Brandstetter: Da haben Sie recht. Es hat ja auch Sinn, dass es eine Gruppe von Höchstrichtern gibt, die gemeinsam um die richtigen Lösungen ringen.

STANDARD: Unsere Leser interessieren sich enorm für Liveticker von Gerichtsverhandlungen. Warum gibt es keine Fernsehübertragungen?

Brandstetter: Während des Gerichtsverfahrens gilt der Grundsatz der Unmittelbarkeit. Es kann passieren, dass sich jemand anders gibt, wenn er weiß, dass er live im Fernsehen ist. Das verfälscht den Auftritt und wäre nicht im Sinne der Justiz. Wenn im Parlament die Kameras eingeschaltet sind, sind die Abgeordneten ja auch noch besser.

Schindel: Wie ausgewechselt!

Brandstetter: Na, das haben Sie gesagt! Aber: Man sollte darüber reden, ob man die Urteilsverkündung und die Begründung übertragbar macht. Da bereiten wir ein weiteres Reformpaket vor.

STANDARD: Ist das Recht noch verständlich genug?

Brandstetter: Es ist in der Rechtswissenschaft notwendig, Prinzipien zu entwickeln, die jeder versteht. Dass Gesetzestexte zu kompliziert sind, kriegen wir in der Politik in letzter Zeit oft um die Ohren gehauen – mit Recht.

STANDARD: Herr Schindel, Sie haben auch Jus studiert. Warum?

Schindel: Nur ein Semester! Ich habe erst mit 23 Jahren die Externistenmatura gemacht, und dann gab es Bedrängnisse, ein "sicheres" Studium zu machen. Aber ich war damals schon leidenschaftlich in den Philosophen Hegel vergafft, der mich zur Philosophie hinzog.

Brandstetter: Ich habe lange zwischen einem Sprachenstudium und Jus geschwankt. Beim Dolmetsch-Studium war ich mit größtem Aufwand nie besser als der Durchschnitt und im Jus-Studium mit vergleichsweise geringem Aufwand immer weit vorn dabei. Außerdem ist das Recht natürlich spannend, ich denke etwa an Hegels berühmten Satz ...

Beide: ... was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.

Brandstetter: Ersteres könnte ich ja unterschreiben, Letzteres weckt in mir Zweifel.

STANDARD: Das klingt aber nicht so, als ob ein wallender Gerechtigkeitssinn hinter Ihrer beider Studien stecken würde.

Schindel: Bei mir war das durch meine stalinistisch-kommunistische Kindheit und Jugend abgedeckt.

Brandstetter will Gesetze verständlicher machen und Kameras im Gerichtssaal erlauben – bei der Urteilsverkündung
Standard/Cremer

STANDARD: Inwiefern hat die politische Einstellung Ihrer Eltern, die gegen das Naziregime im Widerstand waren, Ihren Gerechtigkeitssinn geprägt?

Schindel: Die Parteilichkeit in der Kommunistischen Partei widerspricht ja im Grunde dem Gerechtigkeitsgrundsatz. Da hat der gute Zweck sehr oft die Mittel geheiligt, die aber nicht zu verteidigen sind. Um das Gerechtigkeitsempfinden wahrzunehmen, musst du dich selbst kennenlernen.

STANDARD: Auch Ihr Vater war im Widerstand.

Brandstetter: Ja – und er hat unheimlich viel Glück gehabt. Sein Schicksal ist nicht mit dem von Herrn Schindels Vater zu vergleichen, der im KZ ermordet wurde. Mein Vater kam aus einem stark katholischen Kreis, er durfte nicht Jus studieren. Ich habe dank seiner eine Sensibilität für diese Thematik. Dinge wie die Causa um die Publikation Aula (die ehemalige KZ-Häftlinge als Landplage bezeichnete und von der Staatsanwaltschaft nicht verfolgt wurde, Anm.) lassen mich nicht kalt, das tut weh.

Schindel: Ein Problem ist ja auch, dass die Justiz in Österreich viel nachzuholen hatte mit ihren teils belasteten Richtern und Staatsanwälten, die viele Freisprüche über Nazi-Vertreter fällten – auch wenn man seit einigen Jahren auf einem besseren Weg ist.

Brandstetter: Ich gebe Ihnen da völlig recht. Ein Gedanke hat mich während des Jus-Studiums gepackt: Es gab Spitzenjuristen, die es geschafft haben, allen Regimen zu dienen. Die immer wieder oben waren. Und ich denke mir schon: Es gäbe sie auch heute. Aber wir haben auch Staatsanwälte, die sehr viel leisten. Oder man denke an Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichtes Wien, der wie andere viel für Vergangenheitsbewältigung tut.

STANDARD: Momentan prallen Recht und Moral oft bei der Verfolgung von Whistleblowern aufeinander. Ist NSA-Aufdecker Edward Snowden ein Krimineller?

Brandstetter: Ich kenne die Rechtsgrundlagen zu wenig, um den Fall konkret zu kommentieren. Aber das Prinzip, sich auf einen Notstand zu berufen, um etwas zu tun, was man glaubt tun zu müssen, kennen wir schon seit der Zeit Maria Theresias. Wir haben eine verbesserte Kronzeugenregelung in Arbeit, damit müsste man auskommen.

Schindel: Es ist wichtig, dass das Bewusstsein in der Gesellschaft dafür gesteigert wird, dass der Staat nicht alles darf. Die freie Welt kann Edward Snowden nur dankbar sein, egal was seine Motive waren.

Brandstetter: Er hat Diskussionen ermöglicht, die es ohne ihn nicht gegeben hätte, das ist richtig.

Robert Schindel denkt, dass die Welt Snowden für dessen NSA-Enthüllungen "nur dankbar" sein kann.
Standard/Cremer

STANDARD: Sie waren einmal mit der Tageszeitung "Die Welt" im Kino, um einen James-Bond-Film zu sehen ...

Schindel: Ich?

Brandstetter: Die Welt ist nicht genug, oder? Eh ein super Film!

STANDARD: ... und da haben Sie dann gesagt: "Die Gefahr bei der Bekämpfung des Terrorismus ist, dass sie das Antlitz des Terrorismus anzunehmen droht."

Schindel: Ja, das ist das große Problem.

STANDARD: Was sagt da ein Justizminister, der Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung forciert?

Brandstetter: Ich sehe die Gefahren aus der Perspektive des Künstlers und Schriftstellers durchaus. Aber: Überwachungsmaßnahmen müssen rechtsstaatlich abgesichert sein. Dann findet man den richtigen Kompromiss. Der Eingriff in Grundrechte muss auf ein absolut notwendiges Ausmaß begrenzt sein. Mir ist klar, dass ich ins Visier der Datenschützer gerate, wenn ich für eine gemäßigte Version der Vorratsdatenspeicherung plädiere – die frühere ging tatsächlich zu weit.

STANDARD: Trotzdem würden immer noch die Daten aller Bürger gespeichert werden.

Brandstetter: Der Begriff ist falsch. Es werden ja keine Daten in der Absicht gespeichert, im konkreten Fall eine Überwachung durchzuführen. Es gibt die Daten ohnehin, weil Telekomunternehmen sie für Verrechnungszwecke speichern. Die Frage ist: Wie lange hat man sie zur Verfügung, wenn man sie dann braucht. Im Fall "Larissa" wurde der Mörder überführt, weil Vorratsdaten ihn mit dem Tatort in Verbindung brachten – er hatte den Pannendienst gerufen.

Schindel: Eine Frage zum Verhältnis von Staat und Staatsanwaltschaft. Beispiel Tierschützerprozess: Wie sehr kann ein Staatsanwalt einen Bürger verfolgen, bis zur Vernichtung der Existenz?

STANDARD: Beim Wiener Neustädter Tierschützerprozess wurde öffentlich, dass sogar eine verdeckte Ermittlerin eingeschleust worden war, die eine Liebesaffäre mit einem verdächtigen Aktivisten begonnen hatte.

Brandstetter: Auch ein Staatsanwalt kann Fehler machen. Wir haben seit Jänner auf mein Betreiben – und das hat auch mit dem angesprochenen Fall zu tun – die Regelung, dass alle Fälle, die von öffentlichem Interesse sind, in den Weisungsrat müssen. Dadurch werden diese Fälle transparent. Es sind im Fall der Tierschützer Konsequenzen gezogen worden, sowohl auf justizieller wie auf polizeilicher Ebene.

STANDARD: Herr Schindel, sind Sie auf Facebook aktiv und bekommen Sie den "Hass im Netz" mit?

Schindel: Klar. Nur suche ich mir meine Freunde gut aus. Aber: Eine freie Gesellschaft birgt auch Risiken. Das Reagieren auf Überschreitungen der Freiheit ist ein Prozess, der auch unter Kontrolle der Öffentlichkeit vor sich geht.

Brandstetter: Ich glaube, dass durch die Technisierung Hemmungen fallen. Es macht einen Unterschied, wenn ich Ihnen als Redakteur gegenübersitze und Ihnen ins Gesicht sage, dass die Meinung des STANDARD zur Vorratsdatenspeicherung nicht überzeugend ist. Ich schaffe es schon – aber es wäre leichter, auf Facebook zu posten: "Unglaublich, was die zusammenschreiben!" Da fallen Hemmungen. Ich sag's Ihnen lieber persönlich.

STANDARD: Ich halt's schon aus.

Brandstetter: Na eben, und das ist gut so.

STANDARD: Kommt eine gesetzliche Verschärfung gegen Hass im Netz?

Brandstetter: Derzeit sehe ich keine Notwendigkeit – wir haben ja gerade verschärft. Man muss aufpassen, dass nicht jede Beleidigung am Wirtshaustisch kriminalisiert wird. Das schwächt in Wahrheit die strafwürdigen Fälle.

Schindel: Es ist wie beim Boulevard, der gegen Menschen hetzt. Wenn man zu sehr dagegen vorgeht, leidet die Pressefreiheit. Die Gegenmaßnahmen zur Hetze sind also noch verheerender.