Die Welt und ihre Gesellschaften, national wie international, befinden sich inmitten einer Zeitenwende – hervorgerufen durch Technologisierung, "Roboterisierung", Globalisierung. Das ist inzwischen Binsenweisheit, deren Auswirkungen schon seit längerem nicht zuletzt an den ökonomischen Verwerfungen erkennbar sind.

Seit geraumer Weile allerdings sind diese Entwicklungen auch bei den einzelnen Menschen angekommen: hohe Arbeitslosigkeit, besonders bei den Jungen, Arbeitsplatzverluste, stagnierendes Wirtschaftswachstum, wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, Migrationsströme, Terrorgefahr. Das sind nur einige der fundamentalen Folgen, denen eine steigende Zahl von Bürgern bereits ausgesetzt ist oder sich ausgesetzt fühlt. Und die Konsequenz daraus wiederum: grassierende Angst vor Abstieg bis tief in die Mittelschichten hinein, wachsende Sorgen oft um die bloße Existenzsicherung, um die Pension, um den Erhalt der Wohnung, um die Zukunft ihrer Kinder. "Sorgenlandschaft" hat es Bundeskanzler Christian Kern anlässlich seines Auftrittes im Kreisky-Forum vor zwei Wochen genannt.

Dazu aber kommt noch etwas, was Isolde Charim, renommierte Philosophin und Publizistin, in der Wiener Zeitung so beschrieben hat: "Wir haben es nicht nur mit einer ökonomischen Krise zu tun, sondern auch mit einer gesellschaftlichen Veränderung. Veränderung aber geht mit einer Art von Verunsicherung und Angst einher, die sich nach einer festen Identität sehnt."

Nicht mehr glauben ...

Und was tun die regierenden Politiker dagegen? Verunsicherung und Angst resultieren neben anderem auch aus zweierlei: Zum einen, wenn die Regierung, die ja den Krisen politisch gegensteuern soll, aufgrund von Uneinigkeiten zu keinen Entscheidungen kommt. Zum anderen, wenn die Politiker den Menschen die Lösungen, die sie anpeilen, nicht verständlich erklären. Denn Zusagen, Versprechungen, Beteuerungen, Vorhabensberichte alleine greifen schon lange nicht mehr. Weil sie nicht geglaubt werden.

Um aber politische Lösungen, Reformen bei den Menschen verständlich zu machen, bedarf es zuvor noch anderer Erklärungen und Erläuterungen. Denn wer die Ursachen nicht versteht, versteht auch nicht die politischen Maßnahmen. Zum Beispiel: Warum ist die Arbeitslosigkeit so hoch, obwohl es insgesamt doch mehr Beschäftigte gibt? Oder: Was sind die Konsequenzen alleine aus der weltweiten Digitalisierung? Oder: Was sind die Zusammenhänge von Technologisierung und Globalisierung?

Natürlich ist die Beantwortung all dessen Aufgabe vieler Institutionen. Eine entsprechende Bildung in den Schulen ist da ebenso notwendig wie entsprechende Aufklärungsarbeit seitens der Medien. Der die Qualitätsmedien übrigens durchaus nachkommen, selbst bei der heutigen Finanznotlage. Aber die soll sich ja demnächst wenigstens etwas bessern, wie Medienminister Thomas Drozda versprach.

Natürlich hat etwa der Gastbeitrag des Bundeskanzlers ("Europa muss wieder gerecht werden") in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auch einiges zum weiteren Verständnis dessen beigetragen, was Christian Kern als Lösungen präferiert. Nur: Dieser Beitrag war weitgehend für ein Leserpublikum formuliert, das sich auskennt, das die Probleme versteht und nachvollziehen kann. Das ist aber nicht die Mehrheit der Bevölkerung, der Wählerschaft.

Dazu bedarf es anderer Verständniswege. Ähnlich vielleicht solchen, die einst Bruno Kreisky, SP-Alleinregierungschef zwischen 1970 und 1983, gegangen ist. Er hat es verstanden, und es war ihm ein Bedürfnis, die Dinge so zu erklären, dass sie alle verstehen. Er sprach eine einfache Sprache, er verwendete Bilder, um seine Vorstellungen anschaulich zu machen. Auch wenn manche zum Schmunzeln waren wie etwa im September 1974, als er anlässlich der Ölkrise den österreichischen Männern empfahl, sich doch nass zu rasieren und dadurch Strom zu sparen. Das Wirksamste aber war Kreiskys Drang zur Nachhaltigkeit. Er wiederholte und wiederholte seine Standpunkte und Erklärungen und wurde dessen nicht müde. Sein Motto war: Sich dem Ziel asymptotisch nähern. Und niemals aufgeben.

... nicht mehr verstehen

Auch wenn die Zeiten von heute und von damals nicht miteinander vergleichbar sind, Fakt ist, dass viele Menschen heutzutage weder verstehen, was um sie vorgeht, noch erklärt bekommen, wie sich geplante Reformen auf ihr tägliches Leben und auf ihre Zukunft auswirken werden. Dieses Nichtwissen über die nahe Zukunft, dieses Nichtverstehen der Gründe für die Krisen und das schwindende Vertrauen in die Politik und deren Repräsentanten führen immer öfter und immer stärker dazu, dass sich in der Bevölkerung die Empfänglichkeit für Angstparolen, Hetzkampagnen, für Verschwörungstheorien und Vorurteile breitmacht. Und wozu dies wiederum führt, das zeigen Umfrage- ebenso wie Wahlergebnisse gleichermaßen überdeutlich. Und zwar nicht nur in Österreich. (Elisabeth Horvath, 22.9.2016)