Wien – Die bunten Regenschirme schaukeln im Wind und werfen ein Meer aus achteckigen Schatten auf den Boden. Es ist einer der letzten warmen Spätsommertage. Unter der bunten Installation spielen Kinder Ball, sitzen Leute plaudernd auf Parkbänken und schießt ein Fotograf Bilder von einem Yoga-Lehrer.

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Auch Brigitte Vettori steht unter den Schirmen, die über dem Dornerplatz in Wien-Hernals, hängen. "Wir wollten Stadt und Regenwald verbinden. Der Platz heizt sich im Sommer auf. Sobald es schattiger ist, kommen die Leute automatisch", sagt die 46-jährige Kultur- und Sozialanthropologin sowie Mitbegründerin der Kulturplattform Space & Place.

Parapluies als Wiedererkennungshilfe

Mit ihrer Reihe "Wien lebt" bemüht sich Vettori heuer bereits zum dritten Mal um die Belebung des Grätzels im 17. Bezirk. In den Jahren zuvor machte sie Station am Urban-Loritz-Platz im siebenten sowie am Meidlinger Markt im zwölften Bezirk. Der Dornerplatz sei "leer, eine Betonwüste" gewesen, sagt Vettori, die selbst seit 2012 dort wohnt. Damals hätten alle gesagt, dass dort nichts funktionieren würde. Es habe sich aber gezeigt, dass "immer Leute kommen, egal welches Projekt man hier macht". Die 274 bunten Parapluies fungieren dabei als Wiedererkennungshilfe – im Grätzel wisse man dann schon, dass jetzt wieder etwas passiert.

Maria von Usslar

Tatsächlich kommen immer wieder vor allem Kinder zu der kleinen Gruppe von Engagierten, die sich auf dem Platz mit Vettori über die kommenden Projekte berät. Die Kleinen fragen, ob es "heute wieder etwas" gibt. "Ich hab' euch in der Zeitung gesehen", sagt ein Mädchen schüchtern. Ein Bub will wissen, ob er sich für einen Kurs, der ihn interessiert, anmelden muss.

Heuer überdacht der Regenschirmwald noch bis Samstag, 24. September, das Treiben auf dem Platz. Dann wird er zum letzten Mal in einen öffentlichen Turnsaal verwandelt, wo sich Grätzelbewohner bei Pilates, Yoga oder sonstigen sportlichen Aktivitäten austoben können.

Talentetausch im öffentlichen Wohnzimmer

Unter dem Motto "Reich und Schön" wurden im Sommer auch Picknicks veranstaltet, bei denen Essen und Talente getauscht wurden: "Zum Beispiel ein selbstgemachter Apfelstrudel gegen eine Fahrradreparatur", so Vettori. Die Anrainer bereiteten zu Hause Speisen zu und brachten sie herunter ins "öffentliche Wohnzimmer von allen". Leute aus ganz Wien sowie Touristen seien zu den Events gekommen.

Maria von Usslar

Vettori wolle "Begegnungen feiern, von unterschiedlichen Menschen, Herkunftsorten, Generationen und sozialen Schichten". Grätzeln seien "reich an Talenten und Möglichkeiten", und es sei "schön, wenn sie durchmischt sind", erklärt sie das Motto. Weil sich auch Antoine de Saint-Exupérys Roman Der kleine Prinz mit "plakativer Schönheit und ideellem Reichtum" befasst, organisierte sie eine Lesung: Menschen, die rund um den Platz leben oder arbeiten, lasen in ihrer Erstsprache zeitgleich aus dem Buch. Das Publikum konnte zwischen sieben Sprachinseln pendeln.

69 Sprachen in 80 Lokalen

Vettori fand schon bei einem anderen Projekt heraus, dass in den 80 Gassenlokalen in der Kalvarienberggasse, die den Dornerplatz tangiert, insgesamt 69 Sprachen und Dialekte gesprochen werden – von Igbo bis Innviertlerisch. "Das ist ein Schatz: Du kannst die Straße hinuntergehen und etwa den Buchhändler fragen, ob er beim nächsten Event auf Serbisch lesen kann", sagt Vettori, die immer versucht, so viele Ansässige wie möglich einzubinden.

Maria von Usslar

Ihr Ziel sei, dass sie den "Ball anstupst" und sich die Initiativen und Ideen dann verselbstständigen und "nachhaltig" im Grätzel bleiben. Sie freut sich, dass Menschen, die sich bei "Wien lebt" kennenlernten, bereits anderswo im 17. Bezirk Belebungsprojekte umgesetzt hätten. Angedacht ist etwa auch, aus der Kalvarienberggasse mit ihren Leerständen eine "Kunststraße" zu machen. "An Ideen mangelt es nicht." (Text: Christa Minkin, Video: Maria von Usslar, 22.9.2016)