Grafik: Standard

Wien – Gold bereitet seinen Besitzern wieder zunehmend Freude. Nach mehrjähriger Pause hat das Edelmetall wieder in einen Aufwärtstrend eingeschwenkt und seit Jahresbeginn rund 24 Prozent auf rund 1.316 US-Dollar je Feinunze dazugewonnen, in Euro gerechnet ist der Anstieg bloß um drei Prozentpünktchen geringer ausgefallen. Die Erklärung für den starken Anstieg liefert das World Gold Council: Investoren haben das Edelmetall als Anlageobjekt wiederentdeckt.

Während die industrielle Nachfrage im ersten Halbjahr schwächelte, erreichte jene von Anlegern im selben Zeitraum ein neues Rekordniveau. Mit 1064 Tonnen lagen die Käufe von Investoren um 16 Prozent über dem bisherigen Höchstwert aus den ersten sechs Monaten des Krisenjahrs 2009. Mit ein Grund des Nachfragesprungs dürfte auch die Unsicherheit nach dem Brexit-Votum der Briten gewesen sein – schließlich gilt Gold als sicherer Hafen für stürmische Zeiten.

Von britischem Understatement ist bei James Butterfill, Chefanalyst von ETF Securities, jedenfalls nichts zu merken, wenn er über die Aussichten für Gold befragt wird: Er sei "very, very bullish", also überaus optimistisch für die Preisentwicklung. Als Zielwert nennt er bis Mitte des Vorjahrs 1.440 US-Dollar, das würde einem weiteren Anstieg um fast zehn Prozent entsprechen. Zur Begründung seiner Prognose führt er die Geldpolitik der Notenbanken in Kombination mit der Erwartung steigender Inflationsraten an.

Weniger Wachstumsdynamik

Es ist zwar das erklärte Ziel der US-Notenbank Fed, die Inflation wieder Richtung zwei Prozent anzufachen, allerdings droht dies nun zu einem ungünstigen Zeitpunkt zu passieren – nämlich mitten im nachlassenden Wachstum, was das Gegensteuern über höhere Zinsen erschwert. "Ich glaube nicht, dass heuer noch eine Zinserhöhung kommt. Die Fed hat den Zinserhöhungspfad verschlafen", meint Ronald Stöferle, Managing Partner beim Vermögensverwalter Incrementum.

Tatsächlich lassen die US-Wachstumsraten seit dem Auftaktquartal des Vorjahres kontinuierlich nach: Waren es damals noch 3,3 Prozent auf Jahressicht, wurden heuer im zweiten Quartal nur 1,2 Prozent ausgewiesen. Die allgemeine Teuerung lag im August zwar bei 1,1 Prozent, jedoch hat sich die sogenannte Kerninflation, bei der Nahrung und Energie ausgeblendet werden, bereits auf 2,3 Prozent erhöht.

Ähnlich wie Butterfill erwartet Stöferle künftig noch höhere Teuerungsraten in den USA, nicht zuletzt, da in den vergangenen Jahren der fallende Ölpreis den Preisauftrieb gedrosselt habe – was nun wegfallen werde. Als Resultat würde Wachstumsstillstand bei steigender Inflation drohen, ein Szenario, das auch als Stagflation bezeichnet wird. Zuletzt aufgetreten ist dieses Phänomen in den USA in den 1970er-Jahren, als Gold andere Anlageklassen wie Aktien oder Anleihen weit hinter sich gelassen hatte.

Schreckgespenst Stagflation

"Das Szenario einer Stagflation halte ich für sehr realistisch. Das ist etwas, das kaum jemand auf dem Radar hat", gibt Stöferle zu bedenken. Zudem ortet er bei der US-Notenbank aufgrund des "Eiertanzes" um ursprünglich für heuer in Aussicht gestellte, nun aber seiner Erwartung nach wohl gar nicht umgesetzte Zinserhöhungen ein Kommunikationsproblem, vor allem bei Chefin Janet Yellen: "Die Fed hat an Glaubwürdigkeit und Vertrauen eingebüßt."

Aufgrund der sich abzeichnenden Rahmenbedingungen erwartet Stöferle eine Fortsetzung des jüngsten Aufwärtstrends bei Gold – und zwar bis auf 2.300 Dollar pro Feinunze bis zur Jahresmitte 2018. Jedoch räumt er selbst ein: "Damit habe ich am Markt derzeit das allerhöchste Kursziel." (Alexander Hahn, 23.9.2016)