Es ist eine alte Erfahrung bei europäischen Spitzentreffen: Je weniger sich die Staats- und Regierungschefs einig sind, je weniger konkrete Inhalte ihre Kommuniqués am Ende haben, desto mehr steht die Inszenierung im Vordergrund – das Zelebrieren hehrer Absichten und Ziele.

Der EU-Gipfel in Bratislava war da keine Ausnahme. Premier Robert Fico versammelte seine Kollegen in der Burg im Zentrum der Hauptstadt. Man wollte sich einig und stark zeigen, einen neuen Aufbruch der Gemeinschaft verkünden, die durch den Austritt Großbritanniens bald geschwächt werden wird.

Es gab dazu starke Polizei- und Kampftaucherpräsenz, die Stadtautobahn und eine Hauptbrücke über die Donau wurden gesperrt, wie die Donau selbst bei einer Bootsfahrt "der Chefs". Die Journalisten – also die Öffentlichkeit – wurden kilometerweit entfernt in eine Messehalle verwiesen.

Das alles hat unfreiwillige Symbolkraft. Man kann diese Umstände als Ausdruck für den Zustand der Union sehen – acht Jahre nach dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise; fünf Jahre nach Beginn der Bürgerkriege von Libyen bis Syrien; fast zwei Jahre nach dem Beginn einer Terrorserie von Paris bis Brüssel; ein Jahr nach der Flüchtlingswelle auf der Balkanroute.

Die Regierungschefs sind nicht nur total zerstritten dahingehend, wie man die großen Herausforderungen bewältigt. Sie sind verunsichert. Sie ziehen sich kurz ins eigene Territorium zurück, sprich ins Nationale. Es geht ihnen ein bisschen wie den Bürgern, die sie regieren, die sich quer durch Europa mehr und mehr für Populisten und ihre (allzu) einfachen politischen Konzepte begeistern.

So ist die Lage ein halbes Jahr vor dem 60. Jahrestag der Gründung der Gemeinschaft im März 1957 in Rom. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat vor dem Parlament in Straßburg mit beklemmender Klarheit vor Augen geführt, worum es gerade geht in Europa: Nie zuvor habe es so wenige Gemeinsamkeiten zwischen Mitgliedsstaaten gegeben wie derzeit, so wenige Bereiche, bei denen sie sich darauf einigen können zusammenzuarbeiten. Und nie zuvor seien die Prioritäten, die die EU-Institutionen setzten, so sehr in Widerspruch zu nationalen Regierungen gestanden wie derzeit. Premiers würden vor allem von ihren innenpolitischen Problemen reden, Europa sei zu etwas "Beiläufigem" geworden, berichtete Juncker, auf eine 30-jährige Erfahrung zurückblickend. An diesem Befund kann die Ausrufung des "Bratislava-Prozesses" wenig ändern. Darin wird gelobt, dass in den kommenden sechs Monaten ein umfangreiches Reformkonzept erarbeitet wird, das dann in Rom feierlich beschlossen wird – in der Tradition der Römischen Verträge.

Der Schwerpunkt soll auf Sicherheitspolitik liegen, im Inneren wie an den EU-Außengrenzen. Das ist ein tolles Konzept. Die Mängel und Schwächen in diesen Bereichen brennen vielen Bürgern unter den Fingernägeln.

Aber man sollte sich keinen großen Hoffnungen hingeben, dass diese Pläne – wie auch jene zur Ankurbelung der Wirtschaft – tatkräftig umgesetzt werden. Im Frühjahr 2017 wird in Frankreich ein neuer Staatspräsident gewählt, im Herbst eine neue deutsche Bundesregierung in Berlin. Damit können die zwei EU-Großmächte, die nach dem Ausscheiden der Briten in der Union den Ton angeben werden, politisch keine großen Sprünge machen. Die Unsicherheiten werden uns in der EU noch länger erhalten bleiben.

(Thomas Mayer, 16.9.2016)