Mutter Volumnia (Elisabeth Orth) beschwichtigt ab morgen Freitag ihren Sohn Coriolan (Cornelius Obonya) im Wiener Akademietheater. Ohrenzeuge: Menenius Agrippa (Martin Reinke).

Foto: Reinhard Maximilian Werner

Bauch In Shakespeares Tragödie Coriolan wird die römische Republik als Ort der Öffentlichkeit vorgeführt, als Schauplatz politischer Willensbildung. Die Handlung spielt im fünften vorchristlichen Jahrhundert. Die Obrigkeit hortet das Mehl, das Volk leidet Hunger und denkt an Aufruhr. Es bleibt einem vornehmen Bierzeltredner wie Menenius vorbehalten, die Plebs zu besänftigen. Er vergleicht sich und die besitzende Klasse Roms mit dem "Bauch", der sich die gesamte Nahrung einverleibt, um allen übrigen Organen des Staates die dringend benötigte Kraft zu spenden. Bereits in diesem selten gespielten Shakespeare-Stück wird das Konzept des Populismus in seiner ganzen Unverantwortlichkeit vor Augen geführt.

Bürger: Cajus Marcius ist ein ebenso angesehener wie unbeliebter Feldherr und Kriegstechniker. Indem er die mit Rom verfeindeten Volsker bei Corioli empfindlich aufs Haupt schlägt, wird ihm vom regierenden Konsul der Ehrentitel "Coriolanus" verliehen. Seine Tugend gründet unleugbar auf Verdiensten, die er sich um Rom erworben hat. Bedauerlicherweise mangelt es dem Haudrauf an sozialer Elastizität. Das Volk beschimpft er ob dessen Wankelmütigkeit unausgesetzt. Er nennt die Vertreter der Plebs "Gründlinge" oder vergleicht sie mit der Hydra.

Elite: Die Patrizier genießen einerseits das Privileg, das Konsulat zu verwalten. Andererseits muss jeder Anwärter auf den Exekutivposten dem Volk nach alter Väter Sitte Honig ums Maul schmieren. Coriolan versagt auf dieser so wichtigen Ebene symbolischer Politik komplett. Anstatt den braven Bürgern zum Beispiel seine Wundmale zu zeigen, ergeht sich der Möchtegernkonsul in abschätzigen Reden über die Proletarier. Keine gute Voraussetzung, um von den Volksvertretern, den Tribunen, ins Herz geschlossen zu werden.

Jünger: Obwohl Shakespeare sowohl Coriolans Mutter als auch dessen Gemahlin auf die Bühne bittet, bleibt unser aufbrausender Feldherr für alle Fragen des gesellschaftlichen Ausgleichs ein denkbar ungeeignetes Instrument. Die Steuerung des politischen Zusammenlebens ist auf Kompromisse angewiesen. Coriolan dagegen beruft sich auf das Ethos des Kriegers. Das erinnert an den deutschen Dichter Ernst Jünger (1895-1998), für den der Kampf "als inneres Erlebnis" den höchsten, letztlich würdevollsten Akt von geselligem Beisammensein darstellte.

Kriegsmaschine: Coriolan ist das Stück der wechselnden Schlachtfelder. Schweigen vor den Toren der Stadt endlich einmal die Waffen, wird vor dem römischen Kapitol um die Erlangung der Staatsämter gerungen. Shakespeare zeigt wie unter einem Brennglas die Wirkungen von Propaganda: die Herstellung politischer Verhältnisse durch bloßes Reden. Indem Coriolan gegen den republikanischen Wahlmechanismus aufbegehrt, wird er von den Vertretern der Volksmacht zum Staatsfeind erklärt. Seine nervöse Reizbarkeit, ein Trumpfass im Felde, macht ihn für die Kalküle der Politik zu Hause unbrauchbar. Sein hoffärtiger Stolz lässt ihn aber auch die Intrigen seiner Widersacher im Inneren übersehen.

Sippe: Zu den reizvollen Aspekten der Coriolan-Premiere im Wiener Akademietheater morgen Freitag gehört die Familienaufstellung der wichtigsten Beteiligten. Cornelius Obonya spielt die Titelrolle, seine Mutter Elisabeth Orth schlüpft in die Rolle von Mutter Volumnia. Regie führt Obonyas Gemahlin, Carolin Pienkos.

Verrat: Coriolan wird aus Rom verbannt. Weil ihm Halbheiten zuwider sind, geht er ausgerechnet ins Hauptquartier seines Todfeindes, des Volskers Aufidius. Der tritt ihm prompt sein halbes Heer ab, um es gegen Rom zu führen. Der Bitte, seine Heimatstadt zu verschonen, entspricht Coriolan erst, als Mutter, Frau und Sohn einträchtig die Knie vor ihm beugen.

Volsker: Die Volsker haben mit dem Sinneswandel ihres prominenten Söldners wenig Freude und metzeln ihn nieder, nicht ohne vorher ein paar Krokodilstränen über seine Größe zerdrückt zu haben. Coriolan ein Staatsheld? Eher der fühllose Arm jenes Gesellschaftskörpers, in dessen Bauch das Mehl landet. Das wusste auch Bertolt Brecht, dem wir eine ausnehmend kluge Bearbeitung der Tragödie verdanken. (Ronald Pohl, 14.9.2016)