Zuerst die schwankenden Trippelversuche, an großen Händen wie Haltegriffen, die ersten Schritte, die jeden zurückgelegten Zentimeter doppelt und dreifach kostbar machen, die himmelschreiende Empörung wieder auf dem Hosenboden zu sitzen, rot vor Wut, und irgendwann schließlich der Triumph des aufrechten Ganges. Endlich schnell genug für Unfug, gerüstet für die eigene Neugier, bereit für die Freiheit.
Ich kann mich nicht daran erinnern, aber den Erzählungen meiner Eltern nach war meine erste Tat, nachdem ich gehen gelernt hatte, mit meinen neuen Lederschühchen feierlich, hocherfreut und ganz allein in eine riesige Lacke zu steigen. Wenn man nun schon mal auf diese Welt gekommen ist, möchte man sie auch sehen und erfahren mit allen Sinnen. Man ist reisefertig. Der erste Schritt ist der Startschuss aller Irrfahrten. Mit jedem darauffolgenden erweitert man den Radius seines Kosmos.
Tanzschritte, Rückschritte
Durch die Jahre lernt man dann die Abwandlungen, das Auf und Ab, und das Im-Kreis-Gehen, Flanieren und Spazieren, Laufen und Flüchten, das Stolpern und das Weitergehen, Tanzschritte und Rückschritte. Man erfährt auch, dass nicht jedes Ziel für einen schweren Weg entschädigt, aber dass noch der schwerste Kummer vergeht, wenn man nur selbst nicht stehenbleibt. Und erwirbt die Fähigkeit, dicht wie zehn Piraten souverän nach Hause zu torkeln.
Meine Lieblingsform des Gehens ist das Herumstrolchen, durch fremde Städte und dunkle Gassen, menschenleere Landschaften und weite Wälder, immer der Nase nach. Ich mag es, wenn man am Ende eines Tages die Welt auf den Fußsohlen spürt und sie einem auf den Fersen brennt.
Man Zeit hat, um zu denken, sich die Gedanken durchmischen und umschichten und nach vielen Kilometern einmal durchgeschüttelt neue Plätze im Hirn finden und man vielleicht ein bisschen klüger wird. Da wird jede Reise zum persönlichen Widerstand gegen den Stillstand. Der aufrechte Gang war nie nur Versprechen, mehr denn je verpflichtet er mit den Jahren auch zur Haltung. (Valerie Fritsch, RONDO, 20.9.2016)