Hofnarr und Springteufel: Teodor Currentzis begeisterte in Wien.

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Wien – Was für ein Typ! Da steht er in engen schwarzen Jeans und schwarzem Flatterhemd und strahlt, hüpft, wedelt mit den Armen, ist durchgeknallter Bandleader und eleganter Ballettmeister, ist Hofnarr, Springteufel und Rattenfänger, Messias, Kumpel und Musikverliebter. Ja: Teodor Currentzis ist ein Phänomen.

Phänomenal ist auch, dass es dem Wiener Konzerthaus gelungen ist, den gebürtigen Griechen als Porträtkünstler zu gewinnen. Der allseits umworbene Currentzis – er wird mit MusicAeterna bei den nächsten Salzburger Festspielen Mozarts La clemenza di Tito machen – werkt im russischen Perm als Musikchef und ist nicht so viel auf Tournee wie manche seiner Kollegen. Im Konzerthaus ist der 44-Jährige in dieser Saison mit der Camerata Salzburg, den Wiener Symphonikern und noch zweimal mit seinem Ensemble MusicAeterna zu erleben.

Zur Saisoneröffnung präsentiert Currentzis mit seiner jungen Gefolgschaft – die Geiger und Bratscher musizieren im Stehen! – ein Programm mit Musik von Jean-Philippe Rameau: Ouvertüren, Tänze und Arien. Orchesterwerke wechseln mit Kammermusik, hierbei wird das Saallicht oft komplett heruntergefahren, die Beleuchtung der Notenständer schafft eine heimelige Stimmung. Überhaupt ist der ganze Abend viertelszenisch geplant: Es gibt Auszüge und Einmärsche, mal kommen Orchestermusiker nach vorn, mal schnallt sich Currentzis eine Trommel um und streicht wie ein Vagabund um sein Ensemble.

Nonplusultra

Showelemente, weil die Musik nicht trägt? Im Gegenteil. Was Currentzis und MusicAeterna bieten, stellt im Moment das Nonplusultra des historisch informierten Musizierens dar. Immer wieder drängen sich Naturvergleiche auf: Crescendi ähneln Windstößen, dramatische Entladungen Donnerwettern. Wie ein Schwalbenschwarm stieben die Stimmgruppen des Orchesters oft durch die Partiturlandschaft. Nur die Sopransolistin Robin Johannsen erreichte diese Sinnlichkeit nicht.

Der Grundcharakter des Orchesterklangs ist warm, weich und luftig, neben einer irren Virtuosität verblüfft auch die Subtilität des Musizierens: berührend im wahrsten Sinne des Wortes. Das Publikum ist hin und weg und erklatscht sich drei Zugaben.

Ist Teodor Currentzis der interessanteste Dirigent unserer Zeit? Er ist auf jeden Fall ein Türöffner, einer, der die Statue der klassischen Musik umarmt, küsst und sie zu neuem Leben erweckt: ein leidenschaftlicher Liebhaber, der der spröden Branche unendlich guttut. (Stefan Ender, 13.9.2016)