Gewinner des Goldenen Löwen in Venedig: Regisseur Lav Diaz.

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Wenn der neue philippinische Präsident Rodrigo Duterte sich ein Bild von den Verhältnissen in seinem Land machen wollte, dann wären die Filme von Lav Diaz dafür das ideale Material. Er bräuchte dazu allerdings Zeit, denn unter vier Stunden dauert kaum eine dieser Erzählungen, in denen es letztlich immer um eine Frage geht: Warum findet dieses Volk, das in paradiesischen Umständen lebt, keinen Ausweg aus dem Leiden?

Lavrente Indico Diaz wurde 1958 auf der südphilippinischen Insel Mindanao geboren, nicht weit entfernt von der Stadt Davao, in der Duterte die Generalprobe für seine martialische Politik abhielt. Dass die gewissenlose Unrechtsfigur in dem neuen Film The Woman Who Left, für den Lav Diaz in Venedig nun den Goldenen Löwen verliehen bekam, den Namen Rodrigo trägt, ist wohl kein Zufall.

Als Künstler wie als Intellektueller ist Lav Diaz ein Kind der finsteren Jahre auf den Philippinen, als der Diktator Ferdinand Marcos unter Kriegsrecht herrschte. Sein Weg zum Film führte über den Journalismus (eine Dokumentation über Straßenkinder), aber auch über die anderen Künste. Bis heute ist er auch Musiker und Poet, und er macht als Regisseur all das, was man hinter der Kamera machen kann, selbst. Mit Batang West Side, einem Thriller aus der Diaspora in New Jersey, machte er 2001 erstmals international auf sich aufmerksam.

2004 erschien der Film, der alles änderte: Evolution einer philippinischen Familie ist ein über zehnstündiges Epos, in dem die Geburtswehen der demokratischen Philippinen am Beispiel einer weitverzweigten Familiengeschichte nachvollziehbar werden.

Lav Diaz gab darin auch seine Verbundenheit mit dem populären Kino eines Lino Brocka zu erkennen, etablierte dabei aber gleichzeitig seine eigene Methode eines (immer in Schwarz-Weiß gehaltenen) digitalen Guerillakinos, das im Grunde nicht viel mehr braucht als eine Kamera, ein Mikrofon und einen Computer zum Schneiden.

In dem Maß, in dem die internationale Filmfestivalwelt von Lav Diaz Notiz zu nehmen begann, konnte er in immer intensiverem Tempo weiterarbeiten: Death in the Land of Encantos, Century of Birthing oder From What is Before sind Schlüsselwerke eines postkolonialen Kinos, in denen ein von Dostojewski inspirierter Existenzialismus auf die Mystik eines armen und unterdrückten Volkes trifft. (Bert Rebhandl, 11.9.2016)