Julia Sciancalepore geht davon aus, dass sich die Nervosität legt. Auch bei Pommery.

Foto: ÖPC/Franz Baldauf

Julia Sciancalepore ist aufgeregt. "Ich habe erst vor zwei Jahren mein internationales Debüt gegeben. Und jetzt bin ich in Rio!" Wobei, manchmal ist auch ihr Pferd aufgeregter. "Einer von uns beiden ist immer nervös, wir wechseln uns ab." Julia Sciancalepore ist gerade noch 20 Jahre alt, also ziemlich jung für eine Wettkampfreiterin. Ihr Pferd, ein Wallach, heißt Pommery, ist 20 Jahre alt, also eher alt für ein Wettkampfpferd.

"Er ist genau ein halbes Jahr jünger als ich." Seit zweieinhalb Jahren trainieren die beiden miteinander. Bei ihrem Paralympics-Debüt bestreiten Sciancalepore und Pommery den Einzel- und den Teambewerb. Ihren ersten Einsatz haben sie am Montag. Teamkollege Pepo Puch, Paralympics-Sieger von 2012, reitet als erster Österreicher schon am Sonntag. Thomas Haller und Michael Knauder komplettieren das Team.

"Natürlich will man ins Finale kommen", sagt Sciancalepore. "Aber wir sind bei den Paralympics! Da reiten die besten der Welt. Mein Ziel ist es, ruhig zu bleiben, mein Bestes zu geben und das Ganze einfach zu genießen."

Angst nur am Anfang

Sciancalepore hat Zerebralparese, weil es bei ihrer Geburt zu einem Sauerstoffmangel kam. Mit dem Reiten begann die BWL-Studentin aus Villach als Dreijährige – Hippotherapie. Sechsjährig kam sie zum Voltigieren. "Ich war nicht so gut im Turnen", sagt sie. Also wechselte sie mit zehn zum sitzenden Reiten und zur Dressur.

Angst vor Pferden hatte sie nur am Anfang, "dann nicht mehr. Man lernt mit der Zeit, sie zu lesen", sagt sie. Man merke, wie das Pferd drauf sei. Als Pommery in Rio von seiner Reiterin in Empfang genommen wurde, war er gut drauf. Als vor dem Stall in Kärnten der Lkw auf den Wallach gewartet hatte, habe er schon das Schlimmste befürchtet. "Er hat geglaubt, er wird verkauft. Und dann hat er uns so angeschaut, als ob er fragen würde: "Ist das euer Ernst?" Jetzt sei er froh, "dass wir ihn nicht alleingelassen haben".

Pommery ist nach dem Champagner benannt. Sein Vater hieß Prosecco. "Meine Trainerin hat gesagt, er soll besser werden als sein Vater – also Pommery." Mit ihm, sagt Sciancalepore, könne sie jeden Blödsinn machen. "Und er ist sehr verschmust." Nach seiner Ankunft in Rio war das Pferd sehr aufgedreht. "Jetzt ist er im richtigen Modus." Seine Reiterin hofft, das auch zu sein. Sie hat Rezepte, wie sie sich beruhigt.

Skype mit der Mentaltrainerin

Ob ihr die erfahreneren Teamkollegen Puch (50) und Haller (51) bei der Bewältigung der Nervosität helfen können? "Ja, wobei ich draufgekommen bin, dass sie selbst sehr angespannt sind, deswegen habe ich mich davon verabschiedet." Sie skypte stattdessen mit ihrer Mentaltrainerin. Vor einem Wettkampf zieht sich Sciancalepore zurück. Sie reitet die Aufgaben in Gedanken durch. "Ich bin auch schon zu Fuß durch die Arena gegangen, habe mich in die Mitte gestellt, und mich einmal langsam gedreht, damit ich sehe, was ich beim Reiten sehen würde. Ich habe geschaut, wo sind die Zuschauer, wo ist die Anzeigetafel. Da schaue ich im Wettkampf lieber nicht hin."

Wenn der Ernstfall Wettkampf eintritt, bemerkt das auch das Pferd. "Wenn es Zuschauer sieht, denkt es: 'Upps, ich glaube, heute muss ich meine Leistung abrufen.'" In Rio wollen Sciancalepore und Pommery ihre Leistung zur Musik von Schneewittchen (das Kuchenbackthema) und Mary Poppins abrufen.

Ihre Lieblingsdisziplin wird die Kärntnerin im Dressurviereck nicht zeigen: das Galoppieren. "Ich darf nur Schritt reiten." Ruhe ist jedenfalls gefragt. Vielleicht sind dieses Mal im Wettkampf weder Reiterin noch Pferd nervös. (Birgit Riezinger, 10.9.2016)