Ein Name, der nach Verwandtschaft mit einer US-amerikanischen Filmlegende klingt, aber in Sizilien so häufig ist wie "Müller" hierzulande: die Komplexitätsforscherin Roberta Sinatra.

Foto: Santiago Gil

Alpbach – In einer Welt, in der es zunehmend auf Präsentation und Vermarktung ankommt, kann man schon einmal Begriffe vertauschen. "Er performt gut" wird recht häufig für "Er ist erfolgreich" verwendet. Die 33-jährige Sizilianerin Roberta Sinatra aber legt größten Wert darauf, die Unterschiede zwischen "Erfolg" und "Performance" festzuhalten, und nennt gleich ein Beispiel: Als die Mini-Disc Anfang der 1990er-Jahre auf den Markt kam, war man allgemein beigeistert von diesem kleinen, handlichen Speichermedium. Tolle Performance. Doch verkauft hat es sich nie gut.

Was genau zum Erfolg führt, ist seit einigen Jahren Thema von Sinatras Forschungen. Dabei wertet sie große Datenmengen aus – zuletzt vor allem jene über Karrieren von Wissenschaftern. Wann publizieren sie Paper mit dem stärksten Impakt auf andere Forscher? Daraus lassen sich Erkenntnisse gewinnen und Voraussagen treffen. Sinatra zum STANDARD: "Nach den ersten zwanzig Papers eines Wissenschafters lässt sich ungefähr sagen, wie die Karriere nach 100 Papers verlaufen wird." Und das immerhin mit einer Treffsicherheit von 85 Prozent.

Obsessive Neugier

Der Zufall spiele dennoch eine ganz entscheidende Rolle in der erkenntnisgetriebenen Forschung. Was Sinatra meint, zeigt das legendäre Beispiel des Penicillin-Entdeckers Alexander Fleming. Selbstverständlich bemerkte er zufällig den in eine Staphylokokken-Kultur geratenen Schimmelpilz Penicillium. "Wäre er aber nicht unglaublich neugierig und geradezu obsessiv gewesen, hätte er sich nicht total dieser Forschung verschrieben, wäre ihm das nicht gelungen", sagt Sinatra, die seit Jänner dieses Jahres Assistant Professor an der Central European University in Budapest ist und ihrer bisherigen Wirkungsstätte, der Northeaster University in Boston, als Visiting Professor treu bleiben wird.

Diebstahl der "Mona Lisa"

Wie der Zufall zu einer enormen medialen Performance und später zum Erfolg führen kann, erzählte Sinatra kürzlich während der Technologiegespräche in Alpbach. Leonardo da Vincis "Mona Lisa" sei von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert worden, ehe ein frecher Dieb das Gemälde 1911 stahl. Erst zwei Jahre später tauchte das Gemälde wieder auf – seit damals wird das berühmteste Lächeln der Kunstgeschichte von aller Welt bewundert.

Manchmal sind wohl auch technologische Fortschritte die Treiber für Erfolg. Der aus Wien von den Nationalsozialisten vertriebene US-amerikanische Chemiker Martin Karplus gewann 2013 den Nobelpreis für ein Multiskalenmodell komplexer Moleküle – nachdem die Rechnerleistung von Computern so groß geworden war, dass man dieses Modell auch simulieren konnte.

Der Zeitpunkt für Erfolg sei vom Zufall abhängig, sagt Sinatra – und erwähnt die Karriere des Physikers Frank Wilczek. Er habe den Nobelpreis für seine Dissertation gewonnen. Ein anderer Nobelpreisträger, der Chemiker John B. Flenn, wurde für eine Arbeit, die nach seiner Emeritierung erschien, geehrt.

Erfolge merkt man sich. Er macht berühmt. Die Öffentlichkeit hat ihr Gedächtnis darauf programmiert. Wer kennt schon die Zweitplatzierten? Keine Chance, selbst wenn sie nur acht Hundertstelsekunden dahinter sind wie bei den vergangenen Olympischen Spielen Justin Gatlin, Silbermedaillengewinner im 100-Meter-Sprint hinter Usain Bolt.

Reiche sind erfolgreicher

Erfolg ist aber auch steuerbar, schreibt Sinatra gemeinsam mit ihrem Partner, dem österreichischen Komplexitätsforscher Michael Szell, in einem Aufsatz im Fachmagazin PNAS. Demnach seien vor allem die finanziell gut ausgestatteten Forschungsinstitute erfolgreich, soll heißen: Ihre Wissenschafter gewinnen eher Grants und erreichen höhere Impaktraten als Einrichtungen mit geringem Budget.

Sinatras nächste Publikation mit Szell wird die Analyse interdisziplinärer Arbeiten in den Wissenschaften sein. Sind Forscher dazu bereit, Fachgrenzen zu brechen?

Die Ergebnisse will sie noch nicht verraten. Nur einen Traum, den sie hat: ein Werkzeug schaffen, das ihr und allen anderen am einen oder anderen Paper sitzenden Forschern Routinearbeiten abnimmt. Literatursuche zum Beispiel. "Damit wir mehr Energie für Kreativität aufbringen können", sagt die Wissenschafterin. (Peter Illetschko, 10.9.2016)