Martin Kippenberger war wahrscheinlich der erste deutschsprachige Künstler, der sich selbst als reflexives Gesamtkunstwerk begriff. Dafür bekommt er den David-Bowie-Orden erster Klasse.


Foto: Kunstforum

Wien – Dass Martin Kippenberger eine große Klappe hatte, darf mittlerweile als bekannt vorausgesetzt werden. Immerhin war er ab Ende der 1970er-Jahre einer der ersten Künstler zumindest tief im deutschen Dichterhain und Denkerwald, der wusste, dass man, abgesehen vom Ölbild, schon auch außerhalb des Bilderrahmens am besten nicht mit Feinfühligkeit auffallen musste, um wahrgenommen zu werden. Immer gut: Altvorderen, allgemein anerkannten Kollegen wie Baselitz, Lüpertz oder Richter ans Bein pinkeln.

Spitze auch: Dumme Sachen machen, Haus vollstinken, Mittelfinger raus. Junge Leute wollen provozieren, junge Künstler müssen. Dabei bloß nie eindeutig, sondern laut Kippenberger "doppeldeutlich" werden!

Weiters kommt es in der Kunst gerade auch bei hohem physischem wie psychischem Betriebstempo (Spritverbrauch, frage nicht) sowie entsprechend geringer Geduld und niedriger Aufmerksamkeitspanne auch auf eines an: Papier ist geduldig, aber Leinwand muss trocknen, währenddessen und dazwischen kann man flotte Sprüche klopfen.

"Wahrheit ist Arbeit": Martin Kippenberger war bis zu seinem frühen Tod 1997 mit nur 44 Jahren nicht nur ein unglaublich produktiver Künstler. In großen Retrospektiven wie 2006 in der Londoner Tate Modern oder 2013 im Hamburger Bahnhof in Berlin wurden schon die Räumlichkeiten mit seinen Ölbildern, Skulpturen, unbrauchbaren Möbeln, Ausstellungsplakaten, Filmen, Schallplatten, deutschem Birkenwald und Dingsbums vollgeräumt – was Kippenberger selbst schon 1994 mit beißendem Spott in seiner Großinstallation The Happy End of Franz Kafka's 'America' vorwegnahm. Ach ja, undefinierbares Dingsbums taucht im Gesamtwerk Kippenbergers übrigens immer wieder als "Peter" auf.

Im schwer überschaubaren Output wurde allerdings Sprache bisher nicht unbedingt ins Zentrum der Rezeption gerückt. Dabei liegen von Kippenberger als Autor gut 230 Bücher auf. Zwischen Lyrik, Dada, Gaga, Punk, Collagen, leeren Seiten und dem ausschließlich mit Frauenfotos gefüllten Theorieband namens Frauen ist hier alles drin, was nicht immer Sinn macht, allerdings der Selbstbespiegelung dient.

Die von Lisa Ortner-Kreil im Kunstforum Wien kuratierte Ausstellung Martin Kippenbergher – XYZ rückt nun also dieses vielleicht größte Talent Kippenbergers in den Mittelpunkt. Dazu gehören natürlich fesch und nassforsch betitelte Golden Oldies wie der Ölschinken Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen, der gekreuzigte Zuerst die Füße-Frosch mit dem Bierkrug in der Hand – oder die die deutsche Leid- und Leitkultur verspaßende Installation Jetzt geh ich in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald. Auch der gute alte, von der Kunstkritik in die Ecke gestellte Martin, schäm Dich-Mann mit den zu kurzen Hosen und dem Stöckelarsch schämt sich im Kunstforum passiv-aggressiv.

"I love Mi(l)ch"

Neben Selbstporträtkunst wie Bitte nicht nach Hause schicken oder dem einem sinnvollen Zweck als Wohnzimmertisch zugeführten, in schlichtem resignativem Grau gehaltenen Gerhard-Richter-Gemälde Modell Interconti wird vor allem auch die den ganzen Hauptraum beanspruchende Installation sehr gut / very good gezeigt. Notizen, die sich ein Kind während einer Kippenberger-Ausstellung machte, in weißer Schrift auf weißen Hintergrund übertragen: "Ein Alter, der auf das Bild kotzt ... sehr gut.....".

Dazu gesellen sich neben aus der Hüfte geschossener Plakatkunst mit "I love Betty Ford Klinik"-, "I love Sportflecken"- oder "I love Mi(l)ch"-Stickern behübschte Brüller wie die Oralsexstudie Die Bourgeoisie kommt nicht weiter und der Fußball bewegt sich im Mittelfeld sowie ein äußerst textlastiger toller Katalog: XYZ. Bei Kippenberger wurde schließlich immer schon ordentlich was weggequasselt. Meine Fresse. (Christian Schachinger, 7.9.2016)