Tritt die Verordnung in Kraft, können Asylanträge direkt an der Grenze abgewiesen werden.

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Wien – Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten: Das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) hat den am Dienstagabend von der Regierung vorgelegten Entwurf für eine Asyl-Notverordnung scharf kritisiert. "Diese Maßnahme würde einen Tabubruch und eine Abkehr vom Flüchtlingsschutz in Österreich bedeuten", warnt Christoph Pinter, Leiter des UNHCR Österreich.

In den Erläuterungen zum Verordnungstext begründet die Regierung ausführlich, warum aus ihrer Sicht in Österreich die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit gefährdet seien – genannt werden Beispiele aus den Bereichen Asyl, Integration, Schulen, Gesundheit und Arbeitsmarkt.

Vorbild für andere Länder?

Tritt die Verordnung tatsächlich in Kraft, würde das zu einer massiven Einschränkung des Asylantragsrechts führen. Über den genauen Zeitpunkt streiten SPÖ und ÖVP aber noch. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka drängt auf einen Beschluss Ende Oktober.

Das UNHCR befürchtet jedenfalls, "dass andere europäische Staaten dem Beispiel von Österreich folgen und Menschen auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung immer schwieriger Schutz in Europa finden könnten". Dem Flüchtlingshochkommissariat seien die Herausforderungen zwar bewusst, die die Aufnahme von knapp 90.000 Asylsuchenden im Vorjahr für Österreich mit sich gebracht habe, es gebe aber "andere Maßnahmen, die weniger drastische Auswirkungen auf Schutzsuchende hätten", wird argumentiert.

Pinter: "Bei einer übermäßigen Belastung wäre es zum Beispiel möglich, über eine Verteilung von Asylsuchenden aus Österreich in andere Länder nachzudenken, wie dies derzeit aus Italien und Griechenland der Fall ist."

"In die Hände von Schleppern gedrängt"

Mit Unverständnis reagiert auch Ärzte ohne Grenzen. Die Organisation warnt, dass die Notverordnung "gravierende humanitäre Auswirkungen" haben könne. Befürchtet wird, dass Menschen auf der Flucht "noch stärker in die Hände von Schleppern gedrängt werden", wie Mario Thaler, der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Österreich, sagt.

"Es ist bedenklich, dass ein Notstand ausgerufen werden soll, um internationales Recht auszuhebeln und eine Abweisung von Flüchtenden zu rechtfertigen. Die Genfer Flüchtlingskonvention muss weiterhin auch in Österreich gelten", kritisiert Thaler.

Amnesty International ortet eine Verletzung grundsätzlicher Menschenrechtsstandards. Asyl werde durch die Verordnung de facto abgeschafft. "Das Ergebnis wird ein neues Idomeni in Nickelsdorf sein", befürchtet Generalsekretär Heinz Patzelt. "Diese Verordnung heißt nicht 'Wir können nicht', sondern 'Wir wollen nicht'."

Kritik von SP-Jugend

SPÖ-intern wird seitens der sozialdemokratischen Studenten Kritik am Parteichef und Kanzler Christian Kern laut. "Ich schätze Kern als einen intelligenten Menschen ein, der sich dessen bewusst ist, dass die Forderung nach einer Notverordnung absurd ist. Er darf sich nicht von der ÖVP oder Teilen der SPÖ dazu bringen lassen, populistische Forderungen durchzusetzen", erklärte VSStÖ-Vorsitzende Katrin Walch.

Erwartungsgemäß ablehnend fällt auch die Reaktion der Grünen aus: "Nationale Grenzschließungen nach dem Florianiprinzip gaukeln nur eine Lösung vor, verhindern aber genau diese – siehe die Probleme, die die Abschottungspolitik Ungarns auch uns in Österreich macht", sagte Integrationssprecherin Alev Korun.

Scheindebatte

Von einer "Scheindebatte" sprach Neos-Menschenrechtssprecher Nikolaus Scherak. "Wir brauchen keine Notverordnung, die nicht kommt, sondern einen Integrationsplan – bevor hier eine Not entsteht."

Der Kärntner FPÖ-Obmann Gernot Darmann ortet in der Verordnung einen "späten Offenbarungseid der Bundesregierung". SPÖ und ÖVP würden darin auf die zunehmende Kriminalität und die in anderen Bereichen drohenden Belastungen verweisen. "Das ist ein klares, aber viel zu spätes Eingeständnis des eigenen Scheiterns." (red, 7.9.2016)