Brasilien ist im Behindertensport eine große Nummer. Die Goldene des Prothesenläufers Alan Oliveira über 200 Meter war nur eine von 21 in London 2012. Der brasilianische Alltag für Behinderte ist trist.

Clodoaldo Silva ist ein Superstar in Brasilien. Der Schwimmer wird in einem Atemzug mit den Fußballern Ronaldo oder Neymar genannt. 13 Medaillen hat der 37-Jährige bei Paralympischen Spielen bereits gewonnen. In Rio de Janeiro steht der Athlet aus dem Nordosten Brasiliens erneut im Rampenlicht. "Ich hoffe, dass durch die Spiele das Vorurteil ausgeräumt wird, dass Körperbehinderte nicht die gleiche Leistung erbringen können wie Nichtbehinderte", sagt Clodoaldo. Zudem würden die Spiele helfen, die Menschen für die Belange von Behinderten zu sensibilisieren. "Viele Behinderte werden von der Gesellschaft, vom sozialen Leben ausgegrenzt."

Clodoaldo wurde mit eingeschränkter Beinmotorik und 40 Prozent verminderter Sehfähigkeit geboren. Bei der Geburt hatte es Komplikationen gegeben, die Sauerstoffversorgung war unterbrochen. Bis zu seinem siebenten Geburtstag konnte er seine Beine gar nicht bewegen. Es folgten zahlreiche Operationen, als Therapie riet der Arzt, mit dem Schwimmen zu beginnen. "Das Schwimmen hat mir Ermutigung für alles andere in meinem Leben gegeben", sagt Clodoaldo. Die Paralympics in Rio werden seine letzten sein. Danach will er als Sportjournalist arbeiten.

Vor der Absage

Doch die Spiele in Rio stehen unter keinem guten Stern. Anfang August musste der Staat Rio de Janeiro den finanziellen Notstand erklären. Wegen der Finanzierungsprobleme wurde sogar über eine Absage der Paralympics diskutiert. Auch der Kartenverkauf läuft schleppend – noch 80 Prozent der Tickets sind zu haben. Um die Sportler nicht vor leeren Rängen wetteifern zu lassen, wurde eine Vielzahl von Karten kostenlos oder zum Preis von knapp drei Euro herausgegeben. "Ich bitte die brasilianischen Fans nicht zu kommen, ich rufe sie herbei", forderte der Vorsitzende des brasilianischen paralympischen Komitees, Andrew Parsons.

Das Budget wurde zusammengestrichen. Es gibt weitaus weniger Mitarbeiter, das Transportangebot wurde gekürzt, Wettkampfstätten wurden zusammengelegt. "Niemals zuvor in 56 Jahren der Geschichte der Spiele hatten wir es mit solchen Rahmenbedingungen zu tun", sagt Sir Philip Craven, der Chef des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC).

Dem Organisationskomitee greift die Zentralregierung in Brasília mit rund 30 Millionen Euro und die Stadtverwaltung Rio de Janeiro mit 45 Millionen unter die Arme. Allerdings soll bislang nur ein Teil des Geldes geflossen sein. Das Finanzloch ist auch entstanden, weil die Organisatoren für die Paralympics reservierte Mittel für die Abhaltung der Olympischen Spiele verwendet haben, denn diese standen mehr im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit. Mit den Olympiern ist das Engagement verschwunden. Der britische Sprinter Jonnie Peacock spricht aus, was viele paralympische Athleten denken: "Sie behandeln uns wie Sportler zweiter Klasse. Die Organisatoren sollen sich schämen."

In Brasilien leben laut offizieller Statistik rund 25 Millionen Menschen, die körper- oder sehbehindert oder gehörlos sind. Viele Behinderte und ihre Verbände setzen auf eine große öffentliche Wirkung der Spiele im eigenen Land. Denn ihr Alltag ist voller Hindernisse, die staatliche Unterstützung ist gering.

In Brasilien fällt auf, dass kaum Behinderte allein auf den Straßen unterwegs sind – sie haben einfach nicht die Möglichkeit. "Das größte Problem für mich ist die fehlende Mobilität", sagt auch die Studentin Regine López aus São Paulo. Die Rollstuhlfahrerin ist immer auf die Hilfe anderer angewiesen. "Was nützt mir ein kostenloser Nahverkehr, wenn ich wegen der Schlaglöcher und hohen Bordsteinkanten nicht einmal zur Bushaltestelle komme?"

Papierenes Recht

Zwar wurden in der Verfassung von 1988 nach Ende der Militärdiktatur die Rechte von Behinderten festgeschrieben. Doch vieles der als fortschrittlich geltenden Gesetzgebung wird nicht umgesetzt. In einer Umfrage gaben rund 79 Prozent der Menschen an, dass die Rechte von Behinderten nicht respektiert werden.

Ein Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO zeigt auf, wie stark Menschen mit Behinderung in Brasilien immer noch diskriminiert und ausgegrenzt werden. Nur 62 Prozent der Körperbehinderten haben die achte Klasse beendet. Insgesamt gehen sie rund drei Jahre kürzer zur Schule als Menschen ohne Behinderung. Damit werden ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich verringert. 25 Prozent der Behinderten und damit doppelt so viele wie der Durchschnitt gelten in Brasilien als arm. (Susann Kreutzmann aus Rio, 7.9.2016)