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Die britische Premierministerin Theresa May wies die Brexit-Enthusiasten am Rande des G20-Gipfels in die Schranken.

Foto: REUTERS/Damir Sagolj

Während der zuständige Minister David Davis am Montag im Londoner Unterhaus von "tollen Möglichkeiten" für Großbritannien außerhalb der EU schwärmte, hat Premierministerin Theresa May am Rande des G20-Gipfels eine zentrale Forderung des Brexit-Lagers zurückgewiesen. Eine Einwanderungsbeschränkung nach australischem Vorbild für Bürger vom Kontinent sei nicht praktikabel, teilte sie mit.

Bereits auf der Reise nach Hangzhou hatte May altgediente Journalisten damit entzückt, dass sie die gestellten Fragen auch tatsächlich beantwortete. Dazu gehörte selbstverständlich die Frage nach der künftigen Einwanderung. Unter Demoskopen und Politikwissenschaftern gilt es als ausgemacht, dass das Abstimmungsergebnis vom 23. Juni (51,9 Prozent für den Austritt) vor allem mit dem Gefühl zu tun hatte, es kämen zu viele EU-Bürger ins Land.

Boris Johnsons Hose sinkt

May verwies auf ihre sechsjährige Erfahrung als Leiterin des Innenministeriums, also des für Immigration zuständigen Ressorts. Das im Referendumskampf dauernd diskutierte Punktesystem zur Einwanderung à la Australien werde nicht funktionieren, glaubt die Regierungschefin, die selbst, wenn auch verhalten, für den EU-Verbleib geworben hatte. Sie ließ die Möglichkeit offen, dass auch in Zukunft EU-Bürger eine Vorzugsbehandlung erhalten, unabhängig von beruflicher Qualifikation oder Alter. Damit stehen die Brexiteers im Kabinett – Davis, Freihandelsminister Liam Fox, Außenminister Boris Johnson – mit heruntergelassenen Hosen da.

Auch einer anderen Forderung der EU-Gegner gibt May nicht nach: Ausdrücklich wollte sie nicht ausschließen, dass der bisher drittgrößte Nettozahler auch in Zukunft zum EU-Haushalt beitragen könnte. "Ich werde meine Verhandlungsposition nicht vorab festlegen", sagte May, "wir arbeiten an der besten Lösung." Dazu gehört nach Meinung der japanischen Regierung unbedingt das Festhalten am Binnenmarkt. Japanische Firmen gehören neben amerikanischen und chinesischen Unternehmen zu den wichtigsten Investoren auf der Insel.

Brexit-Minister Davis sprach im Parlament von "einem historischen und positiven Moment für unsere Nation". Für Großbritannien werde es "neue Freiheiten, neue Möglichkeiten und neue Horizonte" geben. Programmatische Details blieb er freilich schuldig.

Keine zweite Chance

Die Unterhausabgeordneten debattierten nicht nur über Davis' Statement. Auf der Tagesordnung stand auch die Beratung über eine Petition, die eine zweite EU-Abstimmung fordert. Mehrere Millionen Briten hatten sich das Anliegen im ersten Zorn über ihre Abstimmungsniederlage zu eigen gemacht. Freilich hat die Idee keinerlei Chance auf Verwirklichung. Und auch das Parlament will May nur über Folgerungen aus dem Brexit abstimmen lassen, nicht über die Frage selbst. Ob die Regierung so der ungeschriebenen Verfassung entspricht, darüber streiten Experten.

Einstweilen aber gibt es ohnehin noch nichts abzustimmen, zu unklar bleiben die Vorstellungen der Beteiligten. Beim Volk kommt das nicht unbedingt gut an. Das Land fühle sich an, als sei es "in der Schwebe", beklagte sich kürzlich die Teilnehmerin einer Fokusgruppe der Resolution Foundation in Harlow. Den Sommer über "haben die nichts gemacht", so der Eindruck eines Mannes – beide hatten pro Brexit gestimmt.

Harlow erlangte vergangenen Monat Berühmtheit, weil dort eine Gang von Jugendlichen einen polnischen Arbeiter zu Tode geprügelt hat – der Mann hatte den Fehler begangen, in der Öffentlichkeit seine Muttersprache zu sprechen. Die polnische Regierung fordert nun von London Anstrengungen, um die Sicherheit der Polen auf der Insel zu gewährleisten. Solcher Protest hat Gewicht. Immerhin haben Polen in der offiziellen Statistik gerade Inder als größte Immigrantengruppe überholt. (Sebastian Borger aus London, 5.9.2016)