Seit mehreren Jahren verhandeln die Europäische Union und die Vereinigten Staaten das Freihandelsabkommen TTIP. Ein ähnlicher Vertrag zwischen der EU und Kanada (Ceta) ist bereits verhandelt und soll demnächst ratifiziert werden. Gegen diese Abkommen formiert sich schon seit längerem Widerstand, vielerorts organisiert von NGOs, in Österreich aber auch massiv durch die "Kronen Zeitung" befördert. Mittlerweile kommen kritische Stimmen auch vom österreichischen Bundeskanzler, vom deutschen Vizekanzler und vom französischen Staatspräsidenten (allesamt Sozialdemokraten wohlgemerkt).

Wie die erste Grafik zeigt, hat sich die Stimmung gegenüber TTIP in Österreich stark verschlechtert. In der Eurobarometer-Untersuchung vom Herbst 2014 gaben noch 40 Prozent der Befragten an, ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA zu unterstützen, etwas mehr als die Hälfte der Befragten waren dagegen. Im Mai 2016 halten wir bei 70 Prozent Ablehnung und 20 Prozent Zustimmung.

Woher genau die Veränderung in der öffentlichen Meinung kommt, kann mit diesen Daten nicht ermittelt werden. Fakt ist aber, dass Österreich bei der Ablehnung von TTIP mittlerweile EU-weit eine Spitzenposition einnimmt. Wie die zweite Grafik zeigt, ist nirgendwo sonst die Skepsis in der Bevölkerung so stark ausgeprägt.

In der großen Mehrheit aller Mitgliedsstaaten ist das Lager der TTIP-Befürworter größer als jenes der Gegner. In den meist kleineren Volkswirtschaften Nordeuropas (Baltikum, Skandinavien, Britische Inseln) ist die Zustimmung besonders hoch, ebenso in Bulgarien und Rumänien. Die Skeptiker sind hingegen eher in den mitteleuropäischen Ländern stark. Es ist also wenig verwunderlich, wenn besonders Politiker aus diesen Ländern sich derzeit kritisch zu TTIP und Ceta äußern.

Die Anti-TTIP-Mehrheit in Österreich zieht sich durch alle gesellschaftlichen Gruppen – logisch, wenn 70 Prozent eine ablehnende Haltung einnehmen. Dennoch gibt es interessante Unterschiede anhand demografischer und anderer Charakteristika. Die dritte (und zugegebenermaßen etwas monströse) Grafik zeigt die Zustimmung zu TTIP nach Bevölkerungsgruppen. Die Daten stammen aus der Eurobarometer-Befragung vom Herbst 2015, jüngere sind noch nicht als Rohdaten verfügbar.

Jüngere Befragte haben tendenziell etwas positivere Ansichten zu TTIP, ebenso ist bei Frauen die Zustimmung etwas höher als bei Männern. Die Zustimmung steigt auch mit dem Bildungsgrad (hier etwas grob gemessen als Alter bei Bildungsabschluss).

Interessant sind die Ergebnisse bei der subjektiven Schichtzugehörigkeit: Je weiter oben in der Gesellschaft sich Befragte verorten, desto größer ist der Anteil an TTIP-Befürwortern. Gemeinsam mit dem Merkmal Bildung spricht diese Variable also für ein gewisses Gefälle von "oben" nach "unten".

Doch gibt es auch ideologische Unterschiede – allerdings nicht so wie erwartet. Personen, die sich selbst weiter links einstufen (gemessen auf einer Skala von 1 bis 10), haben eine höhere (!) Zustimmungsrate als Befragte, die sich in der Mitte oder rechts verorten. Traditionell ist die Skepsis gegenüber Freihandel ja im politischen Spektrum links stärker verankert (zumindest wenn man voraussetzt, dass die Begriffe "links" und "rechts" eine primär ökonomische Konnotation haben – was fraglich ist, wie an dieser Stelle schon einmal ausgeführt).

Große Unterschiede gibt es je nach der Wichtigkeit des Themas Zuwanderung. Nur eine von sechs Personen, die dieses Thema als eines der zwei wichtigsten für Österreich nennen, sieht TTIP positiv. In der Gruppe, die Zuwanderung nicht als Topthema identifiziert, liegt die Zustimmungsrate fast doppelt so hoch. Interessanterweise gibt es bei ökonomischen Themen (Wirtschaftslage und Arbeitslosigkeit) nur vergleichsweise kleine Unterschiede.

Hohe EU-Skepsis

Eine besonders starke Korrelation herrscht hingegen zwischen der Haltung zu TTIP und der Einstellung zur EU. Mehr als ein Drittel der EU-Befürworter äußern sich positiv zu TTIP, aber nicht einmal jeder zehnte EU-Gegner. Zuletzt scheint es auch eine wichtige Rolle zu spielen, ob man der Bundesregierung vertraut (34 Prozent Zustimmung) oder nicht (17 Prozent Zustimmung).

Welche Schlüsse können wir über die öffentliche Meinung zu TTIP in Österreich ziehen – abgesehen davon, dass die Gegner des Abkommens ganz klar in der Mehrheit sind? Die letzte Grafik legt nahe, dass der Widerstand ganz besonders unter FPÖ-Anhängern hoch sein sollte (Eurobarometer fragt leider nicht mehr nach der Parteipräferenz): Geringerer Bildungsgrad, eine etwas niedrigere subjektive Position in der Gesellschaft, hohe EU-Skepsis, hohe Bedeutung des Themas Zuwanderung und wenig Vertrauen in die Bundesregierung – all das sind auch typische Merkmale von FPÖ-Wählern.

Die Daten legen aber auch eines nahe: Die Struktur der öffentlichen Meinung zu TTIP folgt wohl weniger einer individuellen Kosten-Nutzen-Bewertung von Freihandel im Allgemeinen oder dem betreffenden Abkommen im Besonderen. Vielmehr entspricht sie dem dominanten politischen Konflikt in den meisten westlichen Demokratien des 21. Jahrhunderts. Im Zentrum dieses Konflikts stehen die Durchlässigkeit von Grenzen (für Güter, Kapital und Menschen), nationale Identitäten und die Wahrnehmung, dass "die da oben" nichts für "uns da unten" übrighaben. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 4.9.2016)