Die ungewöhnlichen Arbeitsplätze der Rettungsarchäologen: Grabungsarbeiten im Baustellenbereich.

Foto: Firma Ardig GesmbH
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Eine Stadtkerngrabung.

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Vermessungsarbeiten im Bergwerk

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Freilegen eines Skeletts.

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Ein ungewöhnlicher Fund: das Tullner Kamelskelett.

Foto: Verein Archäologie-Service

Mit dem Begriff Archäologie verbinden viele von uns Bilder von geheimnisvollen Tempelanlagen, zerfallenen Stufenpyramiden an entlegenen und schwer zugänglichen Orten. Einigen ist bestimmt auch bekannt, dass archäologische Forschung überall dort stattfindet, wo es jemals menschliche Aktivitäten gab. Auf einer Großbaustelle, zum Beispiel im Zentrum einer Großstadt, umgeben von schweren Baumaschinen, würden allerdings die wenigsten Archäologen vermuten. Genau diese Orte sind es aber, wo man sogenannte Rettungsarchäologen vornehmlich antreffen wird.

Grabung auf der Baustelle

Im Gegensatz zu einer Forschungsgrabung, wo die Grabungsfläche aufgrund einer expliziten Forschungsfrage definiert wird, wird die Grabungsfläche des Rettungsarchäologen (allein) durch die Ausdehnung einer Baustelle vorgegeben. Dadurch werden etwaige vorhandene archäologische Reste dokumentiert, bevor sie durch Bauarbeiten zerstört werden können. Es wird also alles ausgegraben, was durch den Bau in Mitleidenschaft gezogen und somit für die Nachwelt verloren wäre. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Rettungsarchäologie eng mit der Bauwirtschaft zusammenarbeitet und dass dies häufig unter erheblichem Zeitdruck passiert.

Die Entscheidung, ob eine archäologische Untersuchung im Zuge einer Bauaktivität notwendig ist oder nicht, obliegt der Abteilung für Bodendenkmäler des Bundesdenkmalamts, welches dies auf Basis des Denkmalschutzgesetzes entscheidet. Sobald sich Letzteres für eine archäologische Untersuchung entscheidet und eine Genehmigung für diese Maßnahme erteilt – diese kann nur an Personen mit einem Studienabschluss der Studienrichtungen Urgeschichte und Historische Archäologie oder Klassische Archäologie ausgestellt werden –, liegt es am Bauträger, eine geeignete private Grabungsfirma zu engagieren und mit selbiger über die Dauer und das Grabungsbudget zu verhandeln.

Ungewöhnliche Arbeitsplätze

Die Arbeit eines Rettungsarchäologen umfasst ein breites Spektrum, angefangen von Dokumentationsarbeiten an kleinen Fundstellen, die einige Stunden in Anspruch nehmen, bis hin zu Großprojekten, bei denen die archäologischen Arbeiten mehrere Monate dauern können. Abgesehen davon: Baustellenorte gibt es praktisch überall! Egal ob im Wiener Stadtkern, wo jahrhundertelange Bauaktivität eine Abfolge von Kulturschichten von bis zu vier Metern hinterlässt, oder auf kilometerlangen Baustellentrassen eines Infrastrukturprojekts, wo auf einer großen Fläche Überreste menschlicher Aktivitäten aufgedeckt werden. Auch für Rettungsarchäologen eher ungewöhnliche Arbeitsplätze wie Bergwerke und Bunkeranlagen können mitunter in ihren Aufgabenbereich fallen.

Die Anforderungen an Mitarbeiter von Grabungsfirmen sind also mannigfaltig. Außerdem sollte man als Rettungsarchäologe eine gewisse Toleranz für Schmutz und den allgegenwärtigen Lärm mitbringen. Flexibilität in Bezug auf Arbeitszeit und Anfahrtsweg ist ebenso unabdingbar, da man sich häufig an die willkürlich wechselnden Arbeitszeiten der jeweiligen Baustellen anpassen muss. Im Extremfall müssen zwei oder mehr Grabungen pro Tag betreut werden.

Ein Job für Allrounder

Da Grabungen grundsätzlich ganzjährig laufen, ist Temperaturunempfindlichkeit bei Mitarbeitern von Grabungsfirmen Voraussetzung. Zu jenen zählen neben Archäologen auch zahlreiche Mitarbeiter ohne fachspezifische Ausbildung, die aber gleichermaßen wesentliche Aufgaben auf Grabungen übernehmen. Grabungsmitarbeiter, die zwar keine archäologische Ausbildung haben, deren Studienrichtung aber Bereiche der Archäologie streift, wie zum Beispiel Anthropologen (bei Gräberfeldgrabungen) und Bauforscher (bei Stadtkerngrabungen), sind bei Rettungsgrabungen ebenfalls unerlässlich.

In der Archäologie ist der Rettungsarchäologe ein Allrounder: Er sollte sowohl anthropologisches, archäozoologisches oder bauhistorisches Wissen haben (wenn auch in weitaus geringerem Maß) als auch Kenntnisse über archäologische Hinterlassenschaften aller Zeitepochen (das eher breitgefächert angelegt sein sollte). Die Bandbreite zählt in dem Fall mehr als spezialisiertes Wissen.

Überraschende Funde

Der Lohn des Tages sind überraschende Befundsituationen und/oder Funde. Sie können an den ungewöhnlichsten Grabungsorten auftauchen. Ein spektakuläres Beispiel dafür ist der Fund eines Kamelskeletts in einem aufgelassenen barocken Keller in Tulln, das bei einer großen Stadtkerngrabung entdeckt wurde und vermutlich im Zuge der Türkenkriege des 17. Jahrhunderts in Besitz der Tullner gefallen ist.

Keiner der anwesenden Archäologen konnte sich einen Reim auf dieses seltsame Tier machen – vielleicht auch weil deren archäozoologische Einführungsvorlesung bereits Jahre zurücklag und zu jener Zeit lediglich die mitteleuropäische Fauna abgehandelt wurde. In einer neuzeitlichen Kellerverfüllung rechnete jedenfalls niemand mit einem Kamel.

Ein Pferd? Eine Kuh? Ein Kamel!

Erschwerend kam hinzu, dass zunächst nur Teilbereiche des Skeletts freigelegt werden konnten. Zuerst barg man ein ziemlich großes Schädeloberteil ohne Horn- oder Geweihansätze, was auf ein Pferd schließen ließ, eine Kuh aber eher ausschloss. Als die Extremitäten freigelegt wurden, war die Überraschung groß, da es sich offensichtlich doch um einen Paarhufer handelte, was wiederum ein Pferd ausschloss. Als dann der Oberkiefer des Schädels Eckzähne von beachtlichen Ausmaß aufwies, war die Verwirrung unter den anwesenden Grabungsmitarbeitern perfekt. Dank des anwesenden Archäozoologen konnte das Rätsel schließlich gelüftet und dem Skelett die richtige Art zugewiesen werden. (Oliver Rachbauer, 1.9.2016)