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Facebook kooperiert beim Kampf gegen Hass im Netz mit der Antonio-Amadeu-Stiftung.

Foto: Reuters/Wilking

Anetta Kahane war 19 Jahre alt, als sie informelle Mitarbeiterin der Stasi wurde. Neun Jahre lang versorgte sie einen Kontakt beim DDR-Geheimdienst mit Einschätzungen, Dritten soll sie laut einem unabhängigen Gutachten mit ihrer Tätigkeit nicht geschadet haben. Im Rückblick fühlt sie sich "schrecklich" und schäme sich für ihre Stasi-Mitarbeit, sagte Kahane bereits 2004. Die Tochter jüdischer Kommunisten, die nach der Verfolgung durch die Nazis in die DDR zurückgekehrt waren, wollte mit dem Engagement bei der Stasi "für mich selber eine Rolle für die DDR finden", wie Kahane in einem Interview mit der "Taz" sagte. Später stellte sie einen Ausreiseantrag und protestierte gegen die DDR-Führung.

Anträge und Petitionen

Jetzt wird die seit Jahrzehnten bekannte Stasi-Mitarbeit von Kahane massiv im Netz aufgewärmt. Der Grund dafür ist Kahanes aktueller Job: Sie leitet die Antonio-Amadeu-Stiftung, die sich gegen Neonazis, Rassismus und Hass im Netz engagiert – und mit dieser Expertise auch Facebook im Kampf gegen Hasspostings unterstützt. Sogar der konservative CDU-Politiker Philipp Lengsfeld sprach auf Twitter von einer "Social-Media-Stasi".

Die rechtspopulistische bis teilweise rechtsextreme AfD beantragte im Thüringer Landtag, dass das deutsche Bundesland die Kooperation mit der Antonio-Amadeu-Stiftung beende. Außerdem starteten User eine Internetpetition, die tausende Unterschriften sammeln konnte. In dieser Legislaturperiode erhält die Stiftung etwa vom deutschen Familienministerium 130.000 Euro.

Stiftung wollte ZDF-Beitrag gelöscht sehen

Neuen Antrieb für die Hasskampagne gegen die Stiftung und Chefin Kahane, deren jüdische Identität auch angegriffen wird, gab es nach der Forderung der Stiftung, einen Beitrag aus der ZDF-Mediathek zu löschen, in dem sich ein Reporter über Hass im Netz lustig gemacht hat. In dem Clip aus der Sendung "Hallo Deutschland" war auch die Stasi-Vergangenheit Kahanes thematisiert und der Kampf gegen Hasspostings als "Bespitzelung" bezeichnet worden. Das ZDF distanzierte sich vorsichtig von dem Beitrag und sprach davon, dass dessen Inhalt "nicht die Meinung der Redaktion" widerspiegle.

FAZ mit Fehlinformationen

Attacken gegen die Stiftung fuhr auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die behauptete, dass diese in einem Wiki über die "Neue Rechte" auch die CDU als Vertretung dieser politischen Strömung nannte. Das stimmt allerdings nicht, wie die Antonio-Amadeu-Stiftung nun klar stellte. Vielmehr kam die CDU etwa vor, weil der AfD-Politiker Alexander Gauland früher Mitglied der deutschen Kanzlerpartei war. Die Stiftung prüft nun rechtliche Schritte gegen die FAZ.

Facebook wird nur "beraten"

Tatsächlich hat die Antonio-Amadeu-Stiftung keinen direkten Einfluss darauf, welche Kommentare Facebook löscht. Sie übernehme eine "beratende, vermittelnde und netzwerkbildende Funktion zwischen dem Unternehmen Facebook und den Nutzern im deutschsprachigen Raum". Außerdem weist sie darauf hin, dass Löschen nur die Ultima Ratio sei – und vielmehr Gegenargumente ein wirksameres Argument gegen Hasspostings seien. Der freien Meinungsäußerung sind in Europa durch das Strafrecht ohnehin Grenzen gesetzt. Gesetze wie der Verhetzungsparagraf stellen gewisse Aussagen unter Strafe. Darauf weisen Aktivisten wiederholt hin, sobald der Kampf gegen Hasspostings als "Zensur" tituliert wird.

In Österreich fordern beispielsweise die Grünen, dass Hass im Netz stärker geahndet wird. Parteichefin Eva Glawischnig und Justizsprecher Albert Steinhauser schlugen unlängst vor, den Beleidigungsparagraphen zu novellieren. Künftig sollen Angehörige einer Minderheit die Staatsanwaltschaft einschalten dürfen, wenn sie wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit attackiert werden. Bislang müssen sich Opfer von Hass im Netz meist mit Privatanklagen gegen Beleidigungen wehren.

Hasspostings von eigener Mitarbeiterin?

Probleme bereitet der Antonio-Amadeu-Stiftung allerdings auch die Vergangenheit einer anderen Mitarbeiterin: Die ehemalige Piratenpolitikerin Julia Schramm arbeitet Teilzeit bei der Stiftung, sie hatte in den vergangenen Jahren andere Nutzer im Streit etwa als "verlogenes Arschloch" bezeichnet und Tweets wie "Bomber-Harris Flächenbrand – Deutschland wieder Ackerland" abgesetzt. "Hat Schramm früher Hatespeech verbreitet, soll sie diese heute abschaffen", kommentiert die "Süddeutsche Zeitung". Die Antonio-Amadeu-Stiftung nennt die Liste an Beleidigungen, die Schramm vorgeworfen werden, eine "böswillige" Sammlung von Tweets aus mehreren Jahren.

Verfassungsschutz-Chef im Stiftungsrat

Allerdings gibt es jetzt auch Gegenwind von links: Nachdem teilweise rechtsextreme und antisemitische Seiten wie "Kopp-Online" berichtet hatten, dass der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes im Stiftungsrat der Antonio-Amadeu-Stiftung sitzt, stürzten sich auch antirassistische Initiativen auf die Organisation. "Es ist ein Problem, dass die Verfassungsschutzämter gestärkt aus dem NSU-Verfahren herausgehen und sich jetzt an die Zivilgesellschaft anbiedern", sagt Massimo Perinelli von der Initiative "Keupstraße ist überall" zur "taz". Er spielt damit auf die dubiose Rolle von Verfassungsschutz-Mitarbeitern und V-Männern bei der Unterstützung der neonazistischen Terrorgruppe an. Stephan Kramer, der jetzige Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, war allerdings eingesetzt worden, um den Dienst transparenter und demokratischer zu machen.

Fakt ist, dass sich die Antonio-Amadeu-Stiftung in ihren Handlungsempfehlungen und Broschüren auf Erkenntnisse aus Politikwissenschaft und Psychologie stützt. Die Organisation thematisierte unter anderem auch Antisemitismus unter Linksextremisten. Dass die Stiftung in einen derartigen, organisierten Shitstorm gerät, zeigt auch, wie aufgeladen die Debatte um Umgangsformen im Netz mittlerweile ist. (fsc, 29.8.2016)