Neue Automatisierungskonzepte könnten Produktionsprozesse aus Billiglohnländern wieder nach Europa zurückholen. Notwendig dafür sei eine hochflexible automatisierte, individualisierte Produktion, so der Automatisierungstechniker Andreas Kugi, der am Donnerstag bei den Alpbacher Technologiegesprächen ein Panel zum Thema "Kybernetik in modernen Energie- und Produktionssystemen" leitet.

Kugi ist Vorstand des Instituts für Automatisierungs- und Regelungstechnik der Technischen Universität (TU) Wien und Leiter der "Unit für komplexe dynamische Systeme" des Austrian Institute of Technology (AIT). Für ihn geht es beim Thema "Industrie 4.0" unter anderem darum, "moderne Informations- und Kommunikationstechnologien und die Möglichkeiten der integrierten Sensorik, Bildverarbeitung und steigenden Rechenleistung zu nutzen, um einen Mehrwert in Produktions- und Energiesystemen zu generieren", wie der Experte erklärte.

Systemtheorie und Kybernetik

Mit der zunehmenden "Intelligenz" von Maschinen, Produktionsanlagen und Infrastruktursystemen aufgrund von Sensoren, Kameras, digitaler Vernetzung und Hochleistungsrechnern steigen auch die Anforderungen an Systemtheorie und Kybernetik. Denn die zahllosen Sensoren in solchen Anlagen liefern enorme Datenmengen. Und sobald man aufgrund der daraus gewonnenen Informationen wieder in das System eingreift, "schließt sich ein Regelkreis" – mit Potenzial für alle möglichen Wechsel- und Rückwirkungen bis hin zur Instabilität.

"Damit solche Systeme wunschgemäß funktionieren und beherrschbar sind, muss man sie von der Systemtheorie her verstehen", so Kugi. Es geht darum, die Wechselwirkungen in solchen komplexen Systemen zu verstehen, diese mathematisch zu modellieren und damit das Verhalten des Systems erst vorhersagbar und kontrollierbar zu machen.

Das sei relativ unabhängig von der Anwendung. Ab einem bestimmten Abstraktionsniveau greifen die verschiedenen systemtheoretischen Methoden und es sei gleich, ob es sich um eine Maschine, eine Produktionsanlage oder ein gesamtes Energiesystem handelt.

"Das ist der Knackpunkt"

Nur wenn man verstehe, wie sich Wechsel- und Rückwirkungen auswirken, könne man Systeme auch gezielt kontrollieren und optimieren – "und das ist der Knackpunkt, insbesondere wenn man produktindividualisiert die Flexibilität in den Anlagen erhöhen will". Heute seien Produktionsanlagen in Europa zum großen Teil bereits hochgradig automatisiert, aber das Produktdesign und die Automatisierung sind primär auf größere Stückzahlen ausgelegt. Eine individuelle und hochflexible automatisierte Produktionsfertigung sei da eine deutlich größere Herausforderung.

Genau hier ortet Kugi aber auch das größte Potenzial für die Automatisierung, etwa im Bereich der Konsumgüterindustrie. "Als Automatisierungstechniker stelle ich mir die Frage, wie wir beispielsweise die Produktion von Schuhen, Bekleidung, Sportartikel, etc. aus Asien wieder zurück nach Europa holen können", so der Forscher. Dazu brauche man völlig andere Automatisierungskonzepte und zum Teil vollkommen neue automatisierungsgerechte Produktdesigns, "der Mensch hat hinsichtlich der Flexibilität bestimmte Fähigkeiten, die jeder Maschine überlegen sind".

Aus diesem Grund stelle sich auch die Frage, wie man den Menschen in solche Produktionssysteme sinnvoll einbinde und wie Aufgaben auf Mensch und Maschine aufgeteilt werden sollen. "Aus Sicht der Automatisierung sollte man dem Menschen jene Dinge abnehmen, die er nicht kann, weil es etwa hochpräzise sein muss, weil große Kräfte im Spiel sind, weil es eine unangenehme Arbeitsumgebung oder eine monotone Tätigkeit ist, usw."

"Eine Riesenchance für Europa"

In solchen flexiblen Produktionsanlagen sieht Kugi "eine Riesenchance für Europa". Wenn man es schaffe, solche Produktionen zeitnah zu etablieren, gebe es gute Chancen, den Produktionsstandort zu halten und sogar Produktion aus Billiglohnländern wieder zurückzuholen. Für Maschinenbauunternehmen, speziell mittelständische, sei es deshalb "enorm wichtig, im Bereich Automatisierung, Informatik, IT-Know-how entsprechend gut aufgestellt zu sein, weil das in Zukunft entscheidend ist".

Angesichts des ohnehin schon hohen Automatisierungsgrads in Ländern wie Österreich oder Deutschland glaubt Kugi nicht, dass die Entwicklung im Industriebereich zu einem nennenswerten Verlust an Arbeitsplätzen führen wird. Im Dienstleistungssektor dagegen werde dies der Fall sein, "weil dort werden durchaus anspruchsvolle, aber Routinearbeiten früher oder später durch den Computer, Algorithmen usw. ersetzt werden". (APA, 25.8. 2016)