Alpbach heute – und einst:

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"Gefährliche Straße": So wurden 1951 die Teilnehmer im Bergdorf begrüßt.

Foto: Archiv Europäisches Forum Alpbach/Wolfgang Pfaundler

1956 – der spätere Bundeskanzler Bruno Kreisky mit den Forumsgründern Otto Molden und Simon Moser. In der Lederhose Fritz Molden. Otto Molden gründete mit Moser 1945 die Internationalen Hochschulwochen, aus denen später das Europäische Forum Alpbach hervorging. Veranstalter war damals das Österreichische College – daher wohl die Bezeichnung "Collegenger".

Foto: Archiv Europäisches Forum Alpbach/Wolfgang Pfaundler

Der legendäre Helmut Qualtinger 1959 in Alpbach.

Foto: Archiv Europäisches Forum Alpbach/Wolfgang Pfaundler

1979 – Architekt Gustav Peichl, Künstler André Heller, Otto Molden.

Foto: Archiv Europäisches Forum Alpbach/Wolfgang Pfaundler

Ich sitze in einer Küche mit gepolsterter Eckbank, darüber der Herrgottswinkel, an den Fenstern Vorhänge mit Blumenmuster, am Esstisch eine Zierdecke mit gehäkeltem Rand, der schöne Holzboden ist geschützt von bunten Fleckerlteppichen. Es ist eines der ältesten Häuser in Alpbach, mit seinen wettergegerbten Holzschindeln und den leuchtend roten Balkonblumen steht es am Ende einer steilen Auffahrt. Seit Generationen gehört das Haus Marthas Familie, sie hat früher die Bäckerei im Ort betrieben, nach dem Krieg hat sie das Gewerbe ihres Vaters weitergeführt.

Die Achtzigjährige sitzt mir in einer hellen Kleiderschürze gegenüber, ihr weißes Haar sauber nach hinten gebunden, und redet darüber, wie das Forum den Ort verändert und sich als Veranstaltung entwickelt hat.

Schnaps zur Begrüßung

In den ersten Jahren etwa waren das Sekretariat und der Empfang in alten Kriegsbaracken untergebracht, an deren Stelle stehen heute eine Bushaltestelle und Souvenirläden. Wie in einem Vogelhaus soll es gewesen sein, wenn die "Collegenger", wie sie die Stipendiaten nennt, in beflaggten Postbussen angekommen und zum Empfang getrudelt sind. Der Begrüßungsschnaps dürfte großzügig geflossen sein, in einem Jahr hat das Sekretariat 680 Liter allein bei der Begrüßung ausgeteilt, vermutlich sind einige öfter angekommen.

Über große Lautsprecher auf Masten, die an Wespennester erinnert haben, sind Durchsagen gemacht, Seminare im Freien auf Wiesen unter Apfelbäumen und in angemieteten Bauernstuben gehalten worden. Heute pilgern die "Collegenger" für Veranstaltungen in das neu erweiterte Kongresshaus und in die Alpbacher Hauptschule. Die sogenannten Kamingespräche in der Hinterstube vom Gasthof Jakober unter der Decke aus Zirbenholz erinnern an die Anfänge.

Vorfreude und Weltruf

Jedes Jahr, wenn die Landesflaggen auf Holzmasten beim Kongresshaus gehisst werden, freut sich Martha schon. Es ist das Zeichen dafür, dass es bald wieder losgeht. Die ehemalige Bäckerin weiß, dass die internationale Bekanntheit des Bergdorfs vor allem dem Europäischen Forum Alpbach geschuldet ist und der Einfluss der Veranstaltung über die Wochen, an denen sie stattfindet, hinausgeht.

Hunderte von Häusern sind in den vergangenen Jahrzehnten neu gebaut worden. Die Veranstalter haben Kakao und Nescafé aus der Schweiz für die Wirtshäuser geholt, und Martha hat bei Gandhis Besuch zum ersten Mal die Cobra mit Hubschraubern und indische Frauen mit langen, grellen Kleidern gesehen.

Kreiskys Medaille ... für Milchmuås

"Der Kreisky war ja auch einmal da", fällt Martha ein, und sie muss lachen. Als Bruno Kreisky ins Alpbachtal gekommen ist, sind er und sein Stab zur Inneracher Alm gewandert, und der Almwirt, Peter Inneracher, musste Milchmuås, eine traditionelle Bauernkost aus Milch und Mehl, für die Delegation kochen. Kreiskys Stabschef hat ihm dafür eine Medaille umgehängt. Dafür wurde er im Ort gepflanzt, aber die Medaille hängt wahrscheinlich heute noch bei ihm zu Hause.

Hinter mir geht die Tür auf, Marthas jüngere Schwester Zilli kommt mit kleinen Schritten in einer kurzärmeligen Bluse und einer knielangen Strickweste in die Küche, sie wohnt ebenfalls im Ort, nur ein paar hundert Meter entfernt. Martha weist sie an, sich hinter den Tisch auf die Eckbank zu setzen. Sie will, dass Zilli auch etwas von den "Collegengern" erzählt.

Marthas Nusskipferl

Während Martha damals in der Backstube gestanden ist und für die Jause beim Forum an einem Tag 200 und an einem anderen 400 Nusskipferl gebacken hat, konnte ihre Schwester bei vielen Veranstaltungen dabei sein.

Zilli berichtet mir von André Heller, Axel Corti und einer "Faust"-Inszenierung auf dem Alpbacher Friedhof. An den Namen des Forumspräsidenten, der einmal eine Ansprache hätte halten sollen und stattdessen in der Sauna gesessen ist, kann sie sich nicht mehr erinnern.

Als Zilli noch klein war, hat sie mit den anderen Kindern im Dorf Verstecken gespielt, als eines der älteren Kinder hat sie auf die anderen aufgepasst. Erhard Busek, den späteren Forumspräsidenten, wollten sie damals aber nie mitspielen lassen: "Der war noch so klein und hat sich nicht richtig verstecken können", erklärt Zilli. Einmal hat sie ihm im Zorn eine heruntergehaut, weil er schon wieder die Verstecke verraten hatte.

"Wenn der Kopf Platz hat, dann auch der Oasch"

Das Netzwerk in Alpbach wird eng gesponnenen, und genauso eng kann es in den Gaststuben werden. Damals war das nicht anders als heute. Einmal wollte es sich, wie mir Zilli erzählt, ein Teil des damaligen Organisationskomitees bei der Thalerwirtin gemütlich machen, Sitzplätze gab es aber keine mehr. Die Wirtin darauf zu den "Oberen von der Organisation" unbeeindruckt: "Wenn der Kopf Platz hat, dann auch der Oasch."

Die Schwestern sitzen sich gegenüber, tauschen sich aus, erinnern sich gemeinsam und die eine will von der anderen wissen, wie dieser und jener doch schnell geheißen hat. Irgendwann steht Zilli auf, sie muss jetzt kochen und auch ich verabschiede mich. Beim Rausgehen bedanke ich mich bei Martha für ihre Zeit, sie meint dann nur: "Ja, ja, das passt schon, für die Collegenger haben wir was übrig." (Madlen Koblinger, 23.8.2016)