Ein Tigerhai beim Fressen einer Meeresschildkröte.

Foto: Richard Fitzpatrick

Miami – Mit fünf bis sechs Metern Länge und einem sehr gut entwickelten Geruchs- und Gesichtssinn ist der Tigerhai (Galeocerdo cuvier) ein Spitzenprädator. Wählerisch ist der in allen Meeren der tropischen und gemäßigten Klimazonen vorkommende Hai allerdings nicht: Von Fischen und Krustentieren über Meeressäugetiere bis hin zu schwimmenden Vögeln und sogar kranken Walen stürzt er sich auf so ziemlich auf alles. Er zählt auch zu den Haiarten, die Menschen am gefährlichsten werden können.

Regelmäßig stehen auch Suppenschildkröten (Chelonia mydas) auf seinem Speisezettel. Wenn die knapp eineinhalb Meter großen Schildkröten an der Oberfläche paddeln, stößt er aus der Tiefe auf sie zu. Das hat Auswirkungen auf das Verhalten der Schildkröten: In Gewässern mit Haien versuchen sie, sich möglichst wenig an der Oberfläche aufzuhalten, damit sie bei einem Angriff mehr Ausweichmöglichkeiten haben.

Hohes Verkehrsaufkommen

Paradoxerweise gilt das aber nicht dort, wo die meisten Tigerhaie und Suppenschildkröten aufeinandertreffen. Ein Team US-amerikanischer, australischer und britischer Forscher beobachtete die Populationen der beiden Spezies rings um Raine Island, eine kleine Insel am Great Barrier Reef. Dort befindet sich das wichtigste Brutgebiet von Suppenschildkröten weltweit: Jährlich treffen zehntausende Schildkröten an den Stränden zur Eiablage ein. Und Tigerhaie finden sich natürlich auch ein.

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Die üblichen Hai-Schildkröte-Verkehrsregeln gelten dort aber trotzdem nicht, wie die Forscher beobachten konnten. Weder geben sich die Suppenschildkröten Mühe, die Meeresoberfläche zu vermeiden, noch werden sie dort von den Haien angegriffen.

Leichte Beute

Der Grund dafür ist ebenso einfach wie makaber: Das Brutgeschäft verlangt den Schildkröten eine Menge Substanz ab. Viele überleben dies nicht – pro Saison können bis zu 2.000 Schildkröten sterben, um anschließend als leichte Beute im Wasser zu treiben.

Und diese Kadaver reichen dein Haien als Nahrung aus. Sie halten lieber direkt an der Oberfläche Ausschau nach toten Schildkröten, als sich auf ihre übliche Lauerposition in der Tiefe zu begeben. Und sie schwimmen sogar um lebende Schildkröten herum, um zu toten zu gelangen: Das kostet immer noch weniger Energie als ein Angriff. Die Schildkröten haben dies verinnerlicht und zeigen daher während der Brutsaison nicht die gleichen Vorsichtsmaßnahmen gegenüber Haien wie sonst.

Ein Spitzenprädator wird man eben nicht nur durch schiere Wildheit, fasst Neil Hammerschlag von der Universität Miami die Studie zusammen – es zählt vor allem das Haushalten mit der Energie. Um sich an der Spitze der Nahrungskette zu halten, müsse man sich jeder Gelegenheit bedienen, die sich einem anbietet. Hyänen, Löwen oder Eisbären würden es genauso halten und sich zwischen anstregenden Jagden auch an Aas gütlich tun. (red, 20. 8. 2016)