Lucia Neuhold und Lukas Walcher als Selina und Jarmuk. Sie versteckt ihn im Kleiderschrank, bevor sie ein Paar werden.


Foto: Dramagraz

Graz – Er wolle das Erzählen von Flüchtlingsmärchen nicht der FPÖ überlassen, begründet Regisseur und Autor Ernst M. Binder sein neues Stück Jarmuk – Ein Flüchtlingsmärchen. Am Mittwoch erlebte es bei Dramagraz seine Uraufführung. Der künstlerische Ansatz, neue Märchen zu erzählen, ist interessant, die Umsetzung Binders hält aber leider nicht, was sie verspricht: nämlich eine Geschichte, "die so berührend und unglaublich ist, dass sie sich zugetragen haben muss", wie es im Programmheft heißt.

"Unglaublich" kann man schon nach der Hälfte der guten Stunde unterschreiben. Aber mit "berührend" ist das so eine Sache. Binder, der viele, viele Male bewiesen hat, dass er als Autor sowie als Regisseur ein Glücksfall sein kann, schrieb hier ein Stück, das sich nicht entscheiden kann, ob es ein plakatives Schulstück ist oder den Theaterbesucher – gerade in Zeiten wie diesen, da man täglich mit wirklich berührenden und unerträglichen Geschichten von Flucht und Krieg konfrontiert ist – wirklich ernst nimmt.

Jarmuk ist ein junger Mann, der nach einem Flüchtlingslager in Damaskus benannt wurde, wo er als Waisenkind aufwuchs. Er wird von dem Wiener Mädchen Selina, die in einer gutbürgerlichen, aber auch nicht mehr ganz heilen Welt aufwächst, im Kleiderkasten versteckt. Selinas Vater ist arbeitslos, schämt sich, das seiner Familie zu sagen, und geht jeden Tag statt ins Büro ins Wettbüro. Die beiden Jugendlichen Lucia Neuhold und Lukas Walcher legen schauspielerisch eine astreine Leistung hin. Doch es kann ihnen nicht gelingen, diesem Text etwas Wahrhaftiges oder Poetisches zu entlocken. Zu konstruiert ist die Geschichte, die immer vertrackter wird und auch immer weniger mit einem Märchen zu tun hat.

Die Eckpfeiler: Der Flüchtling aus Damaskus ist eigentlich ursprünglich Palästinenser, wie sich dann herausstellt, auch jüdischer Abstammung und ein Nachkomme der Besitzer des Hauses, in dem Selina wohnt. Das hat ihm aufgrund seiner Nase und eines Amuletts seiner Mutter ein Mann in Syrien bekannt. Einer seiner Vorfahren erfand sogar das Riesenrad. Dass er fließend Deutsch kann, rührt daher, dass ihn die Al-Kaida nach Ottakring einschleuste, wo er schon längst als Schläfer eine Kofferplattenspielerbombe gebaut hatte, bevor Selina ihn für einen Flüchtling hielt.

Wohl damit den Zusehern nicht schwindlig wird, lässt man sie zwischen den Szenen immer wieder im totalen Dunkeln sitzen. Keine neue Idee Binders, die auch in Ordnung ist, solange er schöne Stimmen wie jene von Antony and the Johnsons spielt – und keine Massenpanik ausbricht.

Jarmuk und Selina werden ein Liebespaar und fahren mit einem geheimen Plan nach Spielfeld. "Wer wirklich liebt, ist immer auf der Flucht", heißt es da noch verheißungsvoll, aber da ist einem schon schwindlig geworden. (Colette M. Schmidt, 18.8.2016)