Für eine funktionierende Zusammenarbeit braucht es Vertrauen.

Foto: http://www.istockphoto.com/vernonwiley

Zach, ein Freund, mit dem ich meine Facharztausbildung in den USA machte, wurde unlängst mit der Medal of Honor des US-Kongresses, der höchsten militärischen Auszeichnung der amerikanischen Regierung, für seine Verdienste beim Einsatz in Afghanistan ausgezeichnet. Wofür wurde ihm diese Ehre zuteil? Nun, eines Tages waren amerikanische und afghanische Truppen in den Bergen von Afghanistan unterwegs, um Regierungsvertreter auf dem Weg zu einem Treffen mit lokalen Dorfältesten zu beschützen. Die Truppen gerieten in einen Hinterhalt und wurden von drei Seiten angegriffen. Mein Freund Zach wurde unter anderem dafür ausgezeichnet, dass er unter Einsatz seines Lebens ins Schussfeld rannte und mehrere verwundete sowie einen toten Soldaten herauszerrte.

Ich war so stolz, Zach zu kennen. Nach einiger Zeit fragte ich mich: Woher kommen Leute wie er? Woher kommt dieses tiefe Empfinden, diese todesmutige Liebe? Schließlich erhielt er eine Medaille für seine Bereitschaft, sich selbst für andere zu opfern.

Sich selbst und nicht die anderen opfern

Im Geschäftsleben hingegen verteilen wir Prämien an Leute, die gewillt sind, andere – nicht sich selbst – für einen Nutzen zu "opfern". Man fragt sich: Sind Menschen wie Zach also die große Ausnahme? Sind Menschen wie Zach einfach außergewöhnliche Menschen, die sich dem Dienst für andere verschrieben haben?

Ich wurde eines Besseren belehrt. Denn es scheint, dass unser Umfeld einen großen Teil dazu beiträgt, so zu werden wie Zach. Wenn das Umfeld stimmt, hat jeder Einzelne von uns die Fähigkeit, derartig herausragende Dinge zu tun. Als ich Menschen, die wir als Helden bezeichnen, die sich selbst – ihr Leben – aufs Spiel setzen, um andere zu retten, nach ihrer Motivation fragte, bekam ich von allen die gleiche Antwort: "Weil Sie es auch für mich getan hätten!" Ich war zutiefst beeindruckt von diesem Sinn für Zusammenhalt und gegenseitiges Vertrauen.

Der Mensch, ein "Social Animal"

Es ist also Vertrauen, das wir für eine funktionierende Zusammenarbeit brauchen. Der Haken daran: Vertrauen ist ein Gefühl. Ich kann nicht einfach sagen: "Vertrauen Sie mir", und Sie tun es. Woher kommt also dieses Gefühl?

Blicken wir zurück, 50.000 Jahre ins Paläolithikum, zu den Anfängen des Homo sapiens. Eine Welt voller Gefahren. Alles war dazu angetan, unsere Spezies zu vernichten, seien es Wetterkatastrophen oder Mammuts. Als Antwort darauf entwickelten wir uns zu "Social Animals". Wir lebten in einem Sicherheitsverband – einem Stamm, dem wir uns zugehörig fühlten. Unter unseresgleichen fühlten wir uns sicher, als Folge von Vertrauen und Zusammenhalt. Beispielsweise konnte man in der Gewissheit einschlafen, dass jemand aus dem Stamm nach Gefahren Ausschau hält. Sich gegenseitig nicht zu vertrauen hätte im Umkehrschluss bedeutet, dass jeder auf sich allein gestellt gewesen wäre. Kein guter Plan, um zu überleben.

Führung mit Vertrauen

Heute ist die Welt noch immer voller Gefahren. Auch im Beruf, wo uns vieles das Leben erschwert und am Erfolg zu hindern versucht: Wirtschaftsschwankungen, Unsicherheiten am Arbeitsmarkt, neue Technologien oder unsere Konkurrenz, die uns übertreffen will – nur ein paar der Einflussfaktoren, über die wir im beruflichen Kontext keine Kontrolle haben. Die einzige Variable, die wir beeinflussen können, befindet sich innerhalb der Organisation: die richtige Führung. Aber wie?

Große Führungspersönlichkeiten stellen die Menschen innerhalb ihrer Organisation an die erste Stelle. Sie opfern ihren persönlichen Nutzen und kurzfristige Gewinne zum Wohl der Angestellten. Daraus resultiert gegenseitiges Vertrauen und ein starkes Zugehörigkeitsgefühl. Fehlt diese Basis, sehen wir uns gezwungen, unsere Zeit und Energie dafür aufzuwenden, uns voreinander zu schützen, was letztlich die Organisation schwächt. Fühlen wir uns sicher, setzen wir hingegen unsere Talente und Stärken ganz selbstverständlich dafür ein, Gefahren von außen abzuwehren. Im Gegensatz dazu steht der Missbrauch von Führerschaft. Solche Führungskräfte verletzen unablässig die Grundsätze des menschlichen Zusammenlebens. Denn sie lassen es zu, dass Leute für ihre eigenen Interessen geopfert werden. Große Führungspersönlichkeiten würden hingegen niemals Mitarbeiter opfern, um die Zahlen zu retten – sie würden das Gegenteil tun.

Arbeitsmoral in einer Sicherheitskultur

Ein anderes Beispiel, wie es Simon Sinek in seinem Buch "Leaders Eat Last" beschreibt: Matthias leitet ein Produktionsunternehmen, das 2008 von der Wirtschaftskrise hart getroffen wurde. Der Betrieb verlor von heute auf morgen 30 Prozent seiner Aufträge und musste zehn Millionen US-Dollar einsparen. Wie bei vielen Unternehmen üblich, zog der Vorstand einen Personalabbau in Erwägung. Matthias lehnte das jedoch strikt ab, da er in jedem seiner Mitarbeiter nicht nur einen Kostenfaktor, sondern vor allem den Menschen sah. Er setzte sich mit seinem Team zusammen und sie kamen zu einer fairen Lösung:

Jeder – von der Sekretärin bis zum Vorstandsvorsitzenden – sollte vier Wochen unbezahlten Urlaub nehmen. Alle konnten sich diesen frei einteilen und mussten ihn auch nicht "an einem Stück" konsumieren. Matthias war überzeugt, es sei besser, dass alle ein wenig leiden, als dass auch nur einer durch Kündigung erheblich leiden müsste. Die Arbeitsmoral verbesserte sich deutlich. In der so entstandenen Sicherheitskultur hatten die Leute das Gefühl, einander vertrauen zu können. Und mehr als das: Angestellte, die es sich leisten konnten, erklärten sich spontan dazu bereit, mit anderen zu tauschen – sie nahmen fünf Wochen Urlaub, sodass jemand anderer nur drei Wochen nehmen musste. Auch die Zahlen stimmten: Letztlich konnten sogar 20 Millionen Dollar eingespart werden.

Was echte Führungspersönlichkeiten ausmacht

Führungskraft zu sein ist eine Frage der inneren Einstellung und nicht der hierarchischen Position. Uns allen fallen Menschen in Managementpositionen ein, die absolut keine Führungspersönlichkeiten sind, sondern nichts als Machthaber. Wir tun, was sie sagen, weil sie Weisungsbefugnis über uns haben. Wir würden uns ihnen aber niemals aus Überzeugung anschließen. Auf der anderen Seite fallen mir eine Menge Leute ein, die zwar keine Weisungsbefugnis haben, aber Führungspersönlichkeiten sind, weil sie sich um die Personen in ihrem Umfeld kümmern.

Solche Führungspersönlichkeiten nehmen das Risiko auf sich, bevor andere es tun. Sie entscheiden sich dafür, sich selbst zu opfern, um ihre Leute zu schützen. Und nur dann werden auch ihre Mitarbeiter alles geben, um Visionen zum Leben zu erwecken. Weil sie wissen, dass ihr Chef dasselbe für sie tun würde. Das ist dann die Organisation, für die wir alle gerne arbeiten würden. Und das ist es, was wahre Führungspersönlichkeiten ausmacht. (Shahrokh F. Shariat, 26.8.2016)