Vom Gefühl, das Etikett "Läufer im Krankenstand" vielleicht doch ablegen zu können, dem Mann mit dem guten Hammer und dem Misstrauen, das trotz der Freude da ist: Was nach #comebackstronger bleibt

Ich möge, tönte es aus dem Windschatten, darüber nachdenken, den Hashtag zu ändern. Weil mein Bike-Buddy #comebackstronger nimmer lesen wolle, wenn ich Tempoläufe mit 4'30"er-Schnitt wieder schaffe, beim Koppeltraining zuerst zehn Lauf- und dann 50 Radkilometer inklusive Hügelwertung wegsteckte – und mich jetzt am Weg von Tulln zurück nach Wien bei knapp 40 km/h in den Wind stelle: "Sicher: Spitzensportler wirst keiner mehr. Aber für eine alternde Hobette ist dieses Level doch nicht ganz so schlecht."

Foto: Thomas Rotteberg

Stimmt eh. Aber ich traue dem Frieden nicht. Und bin damit nicht allein: Auch wenn Trainerin, Physiotherapeut und die aktuell befassten Ärzte sagen, ich dürfe und solle alles tun, was nicht weh tut, solle aber sicherheitshalber vermeiden, was plötzliche Impuls- oder Impactwechsel hat, ist das "Alles" grad einfach ein bisserl seltsam.

Nach einem halben Jahr Dauer-Aua zu schlüssigen wie absolut unlogischen Anlässen im linken Hüft-, Hüftbeuger und Hinterbackenbereich ist ad-hoc fast zur Gänze schmerzfrei sein etwas, woran Menschen wie ich nicht sofort und ganz glauben können.

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Ich weiß: Meine Sorgen sind trotzdem Luxusprobleme: Ich bin heilfroh, dass ich im letzten halben Jahr meinen Ärzte- und Therapeuten-Marathon nicht wegen eines echten – im Sinne von mehr als das sportliche Wohlbefinden bedrohenden – Problems absolvieren musste.

Und ich danke Göttern und Keilern, die mich vor Jahren zu einer Zusatzversicherung überredet haben: Über den Unterschied bei Wartezeiten auf Arzttermine ließen sich Opern singen. Und ohne Privatzahler-Ansage hätte ich erst jetzt einen MRT-Termin – obwohl ich im Juni anfragte. So hieß es "Ach so! Sagen sie das doch gleich. Wäre übermorgen okay?"

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Darüber, dass das unfair und denen gegenüber, die echte Probleme, aber kein Geld haben, eine Sauerei ist, brauchen wir nicht zu diskutieren. Genauso wenig wie über die magischen Seherqualitäten bei den Pflichtversicherungen beim Genehmigen von Physiotherapieeinheiten (im Bild: Andreas Lichtenwörter, "mein" Physiotherapeut in der Sportordination). Wie man dort riecht, dass es zum Wohle des Patienten angebracht ist, das, was der Arzt verordnete, prinzipiell und automatisch um ein Viertel zu kürzen, hat mir noch kein Mensch erklären können. Ohne rot zu werden, meine ich.

Nein, all das ist nicht neu. Und ich bin kein Experte für Gesundheitspolitik. Aber dieser Vorgeschmack auf jene Abläufe, die man mit "echten" Krankheiten dann wohl weniger auf die leichte Schulter nehmen kann, macht mich sauer.

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Trotzdem: Niemand lebt im Vergleich. Und deshalb war es halt trotzdem zaaach. Extrem zaaach: Meine Freunde konnten. Durften. Taten. Hatten Spaß. Ich durfte zehn Minuten Aquajogging machen, während sie in St. Pölten die Ironman-Halbdistanz schafften – und mit meinem eigenen Startplatz dort auch die Anmeldeoption für die Ironman-Volldistanz in Kärnten 2017 flöten ging. Mir war zum Heulen – nicht wegen der Schmerzen. "Du bist eben Läufer im Krankenstand", mailte meine Trainerin Sandrina Illes irgendwann einmal. Als ob das ein Trost wäre …

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Natürlich hatte sie recht. Auch damit, mir Trainingspläne zu schreiben, in denen Laufen de facto nicht vorkam: Radfahren. Schwimmen. Kraft. Dehnen. Physio. Wassertreten. Faszienrolle. Bouldern. Und Yoga. Hot Yoga, um genau zu sein. Yoga war – und ist – für mich ein Augenöffner: Yoga ist kein Wettkampf. Man tritt gegen und mit sich selbst an. Körperlich – aber vor allem im Kopf.

Wie beim Klettern. Und umlegbar auf 1.000 Dinge im Leben: Was will ich – was geht. Und was steht dazwischen. Beim Körper ist das leicht: Dass es bei mir zwischen Links und Rechts in Sachen Stabilität, Kraft, Balance, Beweglichkeit oder Koordination enorme Unterschiede gibt, spüre ich, sobald ich auf der Matte bin und keine Ausflüchte habe. Dass alles mit allem zusammenhängt und schnell genau gar nix geht, auch.

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Nur: All das brachte mich – schmerztechnisch – nicht wirklich weiter: Ich konnte die Wehwehchen halbwegs stabilisieren. Sie auf ein Level drücken, bei dem ich mir vorflunkern konnte, dass irgendwas besser geworden sei. Die Lüge passte bis zu dem Moment, in dem ich eine falsche Bewegung machte. Oder zu lange keine Bewegung: Irgendwann kann man sich nimmer erfolgreich einreden, dass ein langsamer Dreikilometerlauf toll war – nur weil die Woche davor nach zwei Kilometern am Laufband Schluss war …

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Also tat ich dann doch, was mir der Arzt in der Sportordination (www.sportordination.com) als "nicht ganz, aber doch beinahe ultima ratio" prophezeit hatte, als er im MRT die Verdickungen der Sehnenplatte an meinem linken Oberschenkel gesehen und mir erklärt hatte, dass ich es mit Physio & Co zwar versuchen könne – aber das vermutlich nicht ausreichen werde

Nicht, dass ich irgendetwas von seinen Erklärungen wirklich verstanden hätte: Der gute Mann hätte mir anhand der Bilder auch erklären können, dass ich schwanger bin. Oder dass morgen Weihnachten ist: Ich hätte genickt und "ah, klar" gesagt – und versucht nicht ganz dämlich drein zu schauen.

Aber nach ein paar Wochen Herumlavieren meinerseits packte der Arzt den Hammer aus. Den Vorschlaghammer.

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Genauer gesagt schickte er mich zum Mann mit dem Hammer: "Stoßwelle" nennt sich der Spaß – und bevor ich da jetzt medizinisch-falsch und super angreifbar vor mich hin dilettiere, kommt hier einfach der Link nach Wikipedialand und zum Stoßwellenzentrum – und mein Bekenntnis: Ich habe keine Ahnung, was die da genau gemacht haben – aber es hat funktioniert. Auf Anhieb. Oder – wienerisch gelesen – "auf an Hieb".

Auch wenn der eine Schlag in Wirklichkeit eine Session von ein paar hundert oder tausend teils recht heftigen Klopfern war. Und wenn Ihnen jemand mit einem Gerät von hinten an den Sitzbeinhöcker geht, das genau dort stakkatoartig wie ein Muli tritt und dieses Dings dann ständig hin und her bewegt, können Sie sich – speziell, wenn Sie ein Mann sind – vermutlich auch vorstellen und ausmalen, wohin manche Treffer da auch ausstrahlen: Lustig ist anders.

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Egal: Schon als ich danach zur U-Bahn ging war etwas anders. Ganz anders: Etwas fehlte. War weg. Ein paar Schatten waren noch da. So wie ein paar letzte, versprengte Regentropfen, die nach einem Gewitter noch herunterklatschen – obwohl die Wolken sich schon verziehen: Plötzlich spürte ich, wie sehr ich das letzte halbe Jahr über durch Ausweichbewegungen oder durch das Vermeiden von bestimmten Bewegungen, versucht hatte, mein linkes Bein nur ja nicht falsch zu belasten. Unsicher zunächst, aber dann immer selbstsicherer, begann und lernte meine linke Hüfte zu tun, was rechts selbstverständlich war.

Foto: Thomas Rotteberg

Ich möge, hatte der Arzt mit dem Stoßwellenhammer mir zum Abschied gesagt, es jetzt bitte nicht übertreiben. Es sei alles andere als sicher, dass die Verhärtungen und Verdickungen der Sehnenplatte nicht wieder zurückkämen. Der Körper könne beim Abheilen durch Belastungen und Reize von außen leicht mehr gestört als gefördert werden: Der Druck eines Fahrradsattels just dort, wo die Stoßwelle gegriffen hatte, könne – zum Beispiel, die Selbstheilung sogar komplett vereiteln. Oder der Workout an Beinpresse und beim Beinbeuger im Maximalbereich. Oder das Hineinarbeiten genau hier mit der Faszienrolle.

Genausogut, meinte der Arzt, könne aber auch das Gegenteil eintreten – und diese Reize könnten unterstützend wirken: Ich möge in mich hineinhören. Vorsichtig sein. Auf keinen Fall in den Schmerz hineintrainieren. Lieber zuwenig als zuviel tun… und so weiter.

Foto: Thomas Rotteberg

Tat ich dann auch: Halbes Gewicht beim Krafttraining. U-Bahn und Motorrad statt Fahrrad im Alltag. Die Blackroll weggesperrt. Beim Klettern, beim Dehnen, beim Yoga nie auch nur in die Nähe des Limits. Und beim Laufen gerade schneller als Schrittgeschwindigkeit. Eine Woche ging das gut. Zehn Tage, um genau zu sein. Dann begann es, sich falsch anzufühlen. Verspannt. So, wie sich meine Beine sonst anfühlen, wenn ich tagelang auf Dehnen und Rolle vergesse. Sollte ich vielleicht doch? Ganz leicht? Eh nur sanft? Bingo!

Also doch einen Tick mehr Druck? Doppelbingo.

Foto: Thomas Rotteberg

Sandrina hatte mir – vor der Stoßwellen-Entscheidung – einen fast schon "normal" klingenden Wiedereinstiegs-Trainingsgplan geschrieben. Nix Wildes. Nix Hartes. Aufbau halt. Für einen, der sich auf den Weg aus dem "Läufer-Krankenstand" zurück macht: Drei Kilometer lockeres Einlaufen, drei Kilometer flott und techniklastig – und dann zwei K auslaufen stand da etwa für den Freitag. "Nur wenn es ohne Schmerz und Probleme geht!"

Ich lief ohne auf die Pace zu achten – und staunte: 4´30" am Kilometer? Nicht schlecht. Jedenfalls nicht nach so einer Pause. Tags darauf: Koppeltraining. Zehn Kilometer laufen, dann 50 am Rad plus ein kleiner Hügel. Alles ganz locker. Vor drei Wochen: undenkbar. Heute: Wieso hab ich nicht zumindest ein bisserl Gas gegeben? Am Sonntag dann die Spazierfahrt. Zum Frühstück nach Tulln. Die Donau rauf. Flach. Gemütlich. Sonnig und fein.

Foto: Thomas Rotteberg

Und vor allem: Mit den besten Freunden. "Ich glaube, du kannst Deinen Hashtag jetzt wieder ändern", lachte es am Rückweg aus dem Windschatten, "#comebackstronger ist mittlerweile absurd." Ich strahlte. Innen wie außen: Ja, es geht mir gut. Ja, die Richtung stimmt. Nein, Spitzensportler oder auch nur Treppchenanwärter werde ich in diesem Leben keiner mehr. Nur: Darum geht es nicht. Ging es nie.

Ich weiß, dass das, was mich fast ein halbes Jahr ausgeschaltet hat, wieder kommen kann. Dass irgendwas Anderes irgendwann kommen wird. Dass ich natürlich nicht mehr schnellerhöherweiter unterwegs sein werde. Und trotzdem stimmt der Hashtag: Ich habe gelernt. Gelernt, dass sich Nichtaufgeben lohnt. Dass Sich-nicht-Kleinkriegen-Lassen mehr zählt, als jede Finishermedaille, #Comebackstronger heißt nämlich genau eines: Einmal öfter aufzustehen, als man hinfällt. Immer. Und Laufen ist da nur eine Metapher. (Thomas Rottenberg, 18.8.2016)

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