Sir Bradley Wiggins zieht den britischen Bahnvierer zu Gold und Weltrekord – der Einsatz, auch von viel Geld, hat sich wieder ausgezahlt.

Foto: APA/AFP/GREG BAKER

Angefeuert von der patriotischen Begeisterung der öffentlich-rechtlichen BBC, schwelgen die Briten in den Erfolgen ihrer Olympia-Athleten. Am vergangenen Sonntag schaffte die Brexit-Nation kollektiv eine kaum für möglich gehaltene Bestleistung: "Team GB" zog an China vorbei und belegte zunächst für 48 Stunden Platz zwei des Medaillenspiegels hinter den USA. Zur Begründung verweisen Fachleute auf gezielte, geradezu darwinistisch anmutende Förderung medaillenträchtiger Athleten – und auf die Nachwirkung der olympischen Gastgeberrolle vor vier Jahren.

Insgesamt 48 Medaillen hatte das nationale Olympische Komitee (Boa) vorab als Ziel ausgegeben. Bis Dienstagmittag waren bereits 41 zusammengekommen, doppelt so viel Gold und mehr als doppelt so viele Podestplätze wie das größere, reichere, bevölkerungsstärkere Deutschland. Eine Reihe weiterer Spitzenplatzierungen, etwa beim Segeln und Radfahren, gilt als ausgemacht. Dass am Ende so viel Edelmetall herausspringt wie 2012 in London (65), scheint zwar unwahrscheinlich – auch dürften die schwächelnden Chinesen noch an der einen oder anderen Stelle Boden gutmachen und Platz zwei zurückerobern -, doch gelten bis zu 60 britische Medaillen nach dem bisherigen Verlauf der Spiele als realistische Vorhersage.

"Keine Kompromisse" – mit diesen beiden Worten begründen Sportfunktionäre den Erfolg der Insel. Traditionell waren die Briten, jenseits der Mannschaftssportarten Cricket, Rugby und Fußball, eher als Heimstatt begeisterter Amateure und exzentrischer Einzelgänger bekannt. Die Wende brachte vor zwanzig Jahren die Demütigung von Atlanta: Beim Coca-Cola-Marketingevent mit angeschlossenem Sportfest gewannen britische Athleten lediglich 15 Medaillen, darunter eine goldene, und landeten auf dem 36. Platz des Medaillenspiegels, gleich hinter Kasachstan.

Nicht genug, fand der damalige Premier John Major und sorgte kurz vor seiner verheerenden Wahlniederlage 1997 noch für die gezielte Förderung künftiger Olympioniken. Aus Mitteln der nationalen Lotterie sind in den vergangenen knapp zwei Jahrzehnten Hunderte von Millionen Pfund in die Kasse von UK Sport geflossen, der zentralen Agentur für Leistungssport. Nachfolgende Regierungen hielten Kurs, seit einigen Jahren wird der Lotteriebetrag um etwa ein Drittel aus dem Staatshaushalt aufgestockt. Über die vergangenen vier Jahre kamen auf diese Weise umgerechnet 402 Millionen Euro zusammen.

Kühle Effizienz

Das Geld wird mit kühler Effizienz verteilt. Goldgruben wie Radfahren, Rudern und Reiten werden mit Zuschüssen überschüttet, aussichtslose Teams wie Basketballer und Volleyballer bekommen keinen Penny. Ziemlich genau die Hälfte des Gesamtetats kam Ruderern, Radfahrern und der Leichtathletik zugute, gefolgt von Segeln, Schwimmen und Kanufahren sowie Reiten. Allein in diesen Sportarten holten die Briten 27 ihrer bisher 41 Medaillen, darunter elf goldene.

Dass beispielsweise Basketball sich gerade bei der ärmeren Bevölkerung und ethnischen Minderheiten hoher Beliebtheit erfreut und olympische Vorbilder weiterer Ansporn sein könnten – wen kümmert's? Der Spitzensport ist fest in der Hand überwiegend privat erzogener Mittel- und Oberschichtangehöriger. Unter bis Dienstagnachmittag 16 Goldgewinnern war ein einziger Schwarzer, der Langstreckenläufer Mo Farah.

Wenn bestimmte Sportarten die Erwartungen nicht erfüllen, wird der Geldhahn zugedreht. So geschah es neben Basketball im Jänner 2014 auch den Orchideendisziplinen Wasserball und Synchronschwimmen. Schießen, Schwimmen und Judo wurden in die Kategorie "Risiko und Chance" gesteckt, "Wir mussten unsere Investitionen in bestimmten Bereichen vergrößern", begründete Simon Timson von UK Sport, weshalb andere Disziplinen einfach wegfielen.

Ob die Medaillenflut von Rio in Wirklichkeit aber nur ein Überbleibsel des Erfolgs in der Heimat ist? Die Statistik spricht dafür. Australien belegte sowohl in Sydney 2000 wie vier Jahre später in Athen den vierten Platz im Medaillenspiegel, war in London aber auf Platz zehn abgerutscht – die gleiche Position wie bisher in Rio. Über den langfristigen Erfolg der britischen Förderung lässt sich also frühestens in vier Jahren urteilen. (Sebastian Borger aus London, 17.8.2016)