Istanbul – Nach dem Putschversuch in der Türkei hat die Polizei zahlreiche Unternehmen in Istanbul durchsucht und 50 Menschen verhaftet. Darunter sei der Vorsitzende der Akfen Holding, die unter anderem im Baugeschäft tätig ist, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Dienstag. Insgesamt seien 120 Verdächtige zur Fahndung ausgeschrieben.

Die Unternehmen hätten mutmaßlich Verbindung zu dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen, hieß es zum Hintergrund der Großrazzia. Die Türkei macht Gülen für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich und stuft die Gülen-Bewegung als Terrororganisation ein. Staatspräsident Tayyip Erdoğan und Gülen waren bis zum Bruch 2013 Verbündete.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hat am Dienstag zudem mit seinem US-Kollegen John Kerry über die von der Türkei geforderte Auslieferung des Predigers Fethullah Gülen gesprochen. Wie aus Kreisen des türkischen Außenministeriums weiter bekannt wurde, sprachen die beiden Minister auch über die Lage in Syrien, insbesondere in der umkämpften Stadt Aleppo.

Zweimal lebenslang für früheren Verbündeten

Erst Anfang August hatte Erdoğan angekündigt, die von ihm so genannten "Säuberungen" nach dem Putschversuch auch auf die Geschäftswelt auszuweiten.

Die türkische Staatsanwaltschaft fordert zweimal lebenslange Haft für den von der Regierung als Drahtzieher des Putschversuchs verantwortlich gemachten islamischen Prediger. In einer 2.527 Seiten langen Anklageschrift wirft die Behörde Gülen den "Versuch der gewaltsamen Zerstörung der verfassungsmäßigen Ordnung" sowie die "Bildung und Führung einer bewaffneten terroristischen Gruppe" vor, wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu am Dienstag berichtete. Zusätzlich zu zweimal lebenlang fordert die Anklagebehörde dem Bericht zufolge weitere 1900 Jahre Gefängnis für Gülen.

Medien unter Druck

Derweil soll die Publikation der pro-kurdischen Zeitung "Özgür Gündem" ("Freie Agenda") vorübergehend eingestellt werden. Ein Istanbuler Gericht ordnete am Dienstag ihre Schließung an. Wie aus der von Aktivisten verbreiteten Entscheidung hervorgeht, wird dem Blatt Propaganda für die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorgeworfen. Die Zeitung soll außerdem wie das Sprachrohr der Untergrundorganisation agiert haben. Aus Regierungskreisen hieß es, die Gerichtsentscheidung sei unabhängig vom geltenden Ausnahmezustand gefallen und könne angefochten werden.

Gegen zahlreiche Journalisten und Unterstützer der "Özgür Gündem" läuft zudem seit Wochen ein Verfahren wegen Terrorpropaganda. Von den Ermittlungen betroffen ist auch Erol Önderoglu, der Türkei-Experte der Organisation Reporter ohne Grenzen. Önderoglu saß zwischenzeitlich in Untersuchungshaft.

Reisepässe von Journalisten eingezogen

Die Reisepässe von zwei Journalisten der "Özgür Gündem" seien zudem für ungültig erklärt worden, sagte der Anwalt der Zeitung, Özcan Kilic. Möglich ist das durch ein im Rahmen des Ausnahmezustands erlassenes Dekret, in dem verfügt worden war, dass Reisepässe von Verdächtigen für ungültig erklärt werden.

Nach Regierungsangaben sind seit dem gescheiterten Putsch mehr als 81.000 Staatsbedienstete suspendiert oder entlassen worden. Außerdem befinden sich demnach mehr als 17.000 Menschen in Untersuchungshaft. Nach Angaben der von Journalisten gegründeten Plattform für unabhängigen Journalismus (P24) gehören dazu auch 44 Journalisten, die im Zusammenhang mit den Ermittlungen in U-Haft sind. Der Europäische Journalistenverband (EJS) beziffert die Gesamtzahl der türkischen Journalisten in Haft auf 68. (APA, 16.8.2016)