Christian Grashof (Vater) und Sven-Eric Bechtolf (Doktor) am Freitag während der Fotoprobe zum Schauspiel von Thomas Bernhard.

Foto: apa / gindl

Im Bild: Annett Renneberg (Königin der Nacht).

Foto: apa / gindl

Salzburg – Mit Der Ignorant und der Wahnsinnige ging Thomas Bernhards Stern 1972 hell leuchtend über Salzburg auf. Den Festspiel-Glanz sollte ausgerechnet eine totale Verfinsterung erkaufen. Zum Ende des Stückes – auf der Bühne war gerade eine Koloratursopranistin zusammengebrochen – sollten gar die Notlichter ausgelöscht werden. Die Theaterbehörde verweigerte dies. Bernhard und Regisseur Claus Peymann hatten das kulturelle Österreich mit einem Streich der provinziellen Borniertheit überführt.

Über 40 Jahre später haben sich die Vorzeichen nicht nur helligkeitstechnisch verändert. Bernhard gehört dem Allgemeinbesitz an. Das Licht erstrahlt im Landestheater, und zunächst scheint alles für eine Aufbahrung erster Klasse mustergültig vorbereitet.

Ein Naturholzkasten (Bühne: Martin Zehetgruber) droht in einem Meer von Blumen zu versinken. Der Schminkraum der Königin der Nacht ist ein erstickendes Treibhaus als Todeszelle. Und weil die Ankunft der Koloratursopranistin ungeduldig erwartet wird, herrscht ein ungesundes Reizklima.

Links, hinter einer riesigen Zeitung, sitzt der Doktor (Sven-Eric Bechtolf). Die dicke Luft zersägt er sachgerecht mit Bernhard-Sätzen. Ein nasaler Anatom und Bauchaufschneider, der auch dem blinden Vater (Christian Grashof) Löcher in den Schnapsbauch redet. Der seufzt und schnappt nach den Konversationsbrocken, die ihm der Mediziner vor die lahmen Beine wirft. Ein Paar zum Schießen, wobei der Herr Papa mimisch zu viel des Guten tut.

Nun verbietet sich eine allzu kulinarische Betrachtung von Bernhards Bühnenzweitling von selbst. Die Königin der Nacht (Annett Renneberg) schwebt wie die Callas in die Oper ein. Sie ist zweierlei: das Kunstgeschöpf als Opfer. Die launische Diva, hinter deren Allüre der Tod lauert.

Fröhliche Klassenfahrt

In der Inszenierung des hochverdienten Gerd Heinz wird dem Skandal der Vergeblichkeit leider der Stachel gezogen. Renneberg verbreitet in der morbiden Atmosphäre die Stimmung einer fröhlichen Klassenfahrt. Die Zierbögen zum Aufwärmen trällert sie brav, die Stimme verrutscht dennoch im Nu. Eine kalte Unnahbare? Bernhard sagt: Mein Märchen "ist ganz musikalisch" (nach Novalis). Er meint: Wer die Kunst mit Absolutheitsanspruch auszuüben wünscht, darf keinesfalls auf ein gelingendes Leben hoffen.

In Salzburg anno 2016 zeigt man: alles halb so wild. Bechtolf bringt die schwingenden Satzperioden als klinische Virtuosenstücke. Er macht aus der Leichensektion ein manisches Dauerblendwerk. Man darf unschuldig genießen, wie er den Füller zu Hilfe nimmt, um fachgerecht den Gebrauch des Skalpells zu erläutern.

In den Hinterwandspiegel blickt der Arzt, um sich selbst die Zunge herauszustrecken. Das ruft Tränen des Gelächters hervor. Wie ein alberner Totenvogel umkreist er die Sängerin. Doch selbst die albernen Lazzi rund um das reißende Kostüm sind bloß eines: Happen für den Amüsierbetrieb.

Am Ende ein Licht

Im zweiten Akt, beim Souper bei den "Drei Husaren", setzt es noch letzte bürgerliche Wallungen. Die Diva hat sich ausgesungen; man schmaust jetzt Beef tartare. Die Angebetete hüstelt sich hartnäckig in die physische Auflösung hinüber. Dass Bernhard Menschen als Mechanismen zeigt, als Gliederpuppen an den Schnüren ihrer lächerlichen Prätentionen, dieser existenzielle Skandal bleibt weitgehend unerzählt.

Was aber tun, wenn alles auf den Tod hinausläuft, auf ein Häufchen Gewebe auf dem Seziertisch? Der Letzte dreht das Licht an! Es ist spät geworden. Die Sopranistin bricht zusammen. Ein klitzekleiner Störfall, nicht mehr. Und so brauchte bei der umjubelten Premiere auch niemand das Notlicht auszulöschen. Das Blendwerk dieser hübschen, nichtssagenden Aufführung wirkte auch ganz von allein. (Ronald Pohl, 15.8.2016)