364 Tage im Jahr ist die Welt rechts gepolt. – Außer am 13. August, dem Internationalen Linkshändertag.

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Die Umschulung der Linkshändigkeit kommt auch heute noch vor: In der sanften oder subtilen Form, sagt Franziska Dreisiebner.

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STANDARD: Wie hoch ist der Anteil von Linkshänderinnen und Linkshändern?

Franziska Dreisiebner: Dazu gibt es keine gesicherten Daten. Schätzungen gehen von acht bis 15 Prozent aktiven Linkshändern aus. Andere Experten meinen, dass der Anteil bei mindestens 30 Prozent liegt. Hier sind auch jene Linkshänder eingerechnet, die als Kind unter Zwang auf die rechte Hand umgeschult wurden.

STANDARD: Manche Menschen sagen, dass sie beidhändig sind. Gibt es so etwas wie eine angeborene gleichwertige Händigkeit?

Dreisiebner: Nein, definitiv nicht. Das ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen. Bei den sogenannten Beidhändern handelt es sich fast immer um umgeschulte Linkshänder. Es gibt zwar auch die Umschulung von der rechten auf die linke Hand, das kommt aber selten vor.

STANDARD: Warum ist eine Umschulung problematisch?

Dreisiebner: Bei Linkshändern ist die rechte Gehirnhälfte dominierend – und damit aktiver. Bei Rechtshändern verhält es sich genau umgekehrt. Da Schreiben zu den komplexesten Prozessen des Gehirn zählt, wird ein umgeschulter Linkshänder gezwungen auf seine schwächere Hirnhemisphäre auszuweichen. Sie ist dadurch permanent überfordert.

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Die wahrscheinlich berühmteste linke Hand weltweit, ...
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STANDARD: Heute gilt die zwangsweise Umschulung der Händigkeit als Körperverletzung. Die Quote an Linkshändern müsste also kontinuierlich steigen?

Dreisiebner: Das tut sie auch, weil Kinder im Kindergarten oder der Schule mittlerweile linkshändig sein dürfen. Das Problem sind heute die sanften und subtilen Formen der Umschulung.

STANDARD: Was ist darunter zu verstehen?

Dreisiebner: Die gesamte Welt ist rechtshändig organisiert und orientiert. Deshalb werden Kinder von Erwachsenen unbewusst in ihrer Händigkeit beeinflusst. Das heißt etwa, wenn das Kind mit dem Greifen beginnt, werden ihm Dinge automatisch in die rechte Hand gedrückt. Das setzt sich im Kindergarten fort. Der Löffel wird nicht mittig, sondern auf die rechte Seite hingelegt. Ebenso Stifte und Pinsel.

STANDARD: Was passiert bei der subtilen Form?

Hier ahmt das linkshändige Kind seine Umwelt nach. Es sieht, dass die meisten Kinder und Erwachsenen hauptsächlich die rechte Hand benutzen. Kinder, die wenig konfliktfreudig und durchsetzungsfähig bzw. in ihrem Wesen sehr vorsichtig und angepasst sind, neigen eher dazu, sich wie die anderen zu verhalten – und schulen sich selbst auf die rechte Hand um.

STANDARD: Wie kann das verhindert werden?

Dreisiebner: Einerseits sollten die Eltern für dieses Thema sensibilisiert werden. Besonders gefordert sind auch die Bildungseinrichtungen. Dort braucht es Pädagoginnen und Pädagogen, die zum Thema "Händigkeit" geschult sind. Das Austesten der Händigkeit müsste auch als fixer Bestandteil in den Leistungskatalog vom Mutter-Kind-Pass aufgenommen werden. Ab einem Alter von etwa drei Jahren kann mit dem Testverfahren sehr zuverlässig die Händigkeit eines Kindes bestimmt werden.

... ist die von US-Präsident Barack Obama.
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STANDARD: Welche Konsequenzen kann eine Umschulung haben?

Dreisiebner: Zu den möglichen Auswirkungen zählen Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, legasthene Fehler, also das Vertauschen von Buchstaben oder Zahlendreher, rasches Ermüden, Stammeln und Stottern bis hin zu Verhaltensstörungen wie ADS und ADHS.

STANDARD: Es gibt die Möglichkeit zur Rückschulung. Wann ist das sinnvoll?

Dreisiebner: Es kommt bei der Rückschulung abermals zu einer Irritation des Gehirns. Deshalb rate ich von etwaigen Selbstversuchen ab. Betroffene brauchen für die Rückschulung vor allem zwei Dinge: Zeit und eine professionelle Begleitung durch ausgebildete Linkshänderberaterinnen und -berater. In turbulenten Lebensphasen, etwa einem Jobwechsel, nach der Geburt eines Kindes, während Beziehungskrisen oder nach Trennungen sollte nicht mit einer Rückschulung begonnen werden.

STANDARD: Wie lange dauert der Prozess?

Dreisiebner: Es sollten mindestens zwei Jahre dafür eingerechnet werden.

STANDARD: Sie haben im Jahr 2011 mit Ihrer Rückschulung begonnen. Wie läuft das ab?

Dreisiebner: Ich kam mir vor, als wäre ich wieder in der Volksschule. Die linke Hand musste das Schreiben wieder lernen. Zunächst beginnt man mit leichten Übungen: Schlaufen zeichnen, Bilder mit der linken Hand ausmalen, um die Feinmotorik zu trainieren. Nach und nach kommen einzelne Buchstaben, Silben, Wörter dazu. Seit etwa zwei Jahren schreibe ich ausschließlich mit der linken Hand. Wenn die rechte Hand versehentlich zum Stift greift, werde ich grantig. (Günther Brandstetter, 13.8.2016)