Bouldern, das ist – oft schwieriges – Klettern ohne Sicherung in Absprunghöhe.

foto: boulderbar salzburg

Salzburg – Olympia ruft! Im Jahr 2020 wird der Klettersport erstmals olympische Disziplin sein. Das hat das Internationale Olympische Komitee Anfang August beschlossen. Viele der derzeit aktiven Wettkampfkletterer und -kletterinnen sind mit der Entscheidung des IOC freilich gar nicht glücklich. Das Reglement vermische zu viele verschiedene Disziplinen, heißt es. Es sei so, als ob man Marathon und Sprint zusammenlege.

Trotzdem: Der olympische Ritterschlag war überfällig. Klettern ist ein Massenphänomen geworden. Viele Sportklettergebiete werden an schönen Wochenenden überrannt, und die Kletter- und Boulderhallen boomen. Allein der Alpenverein betreibt in Österreich rund 200 Hallen.

Ohne Seil und Haken

Die Textzeile aus dem Bergvagabunden-Lied "mit Seil und Haken, den Tod im Nacken" gilt längst nicht mehr. "Klettern ist ein Lebensgefühl", beschreibt der Salzburger Bergführer Stefan Kieninger die Entwicklung. Statt ins Fitnessstudio geht es nach der Arbeit eben noch auf ein, zwei Stunden in die Halle, um sich in der Vertikalen an den künstlichen Griffen und Tritten auszutoben.

Kieninger weiß, wovon er spricht. Hauptberuflich ist er mit seiner Firma Höhenwerkstatt als Industriekletterer – beispielsweise im Bereich Sicherungstechnik bei Arbeiten auf Handymasten – höchst erfolgreich. Sein Industriekletterbetrieb führt fünf Trainingszentren in ganz Österreich. Nebenbei hat Kieninger in Salzburg in einer ehemals gewerblich genutzten Halle eine Boulderbar eröffnet. Neben dem Barbetrieb gibt es rund 900 Quadratmeter Boulderfläche.

Abbild der Gesellschaft

Bouldern, das ist seilfreies Klettern in Absprunghöhe, bei dem einzelne Kletterzüge und Probleme von nur wenigen Metern im Mittelpunkt stehen. Es gibt kein Ziel, keinen Gipfel. Bouldern ist zurzeit der absolute Renner in der Kletterszene. Man kann es fast überall und jederzeit tun, man braucht kaum Ausrüstung und keinen Partner zum Sichern.

Irgendwie ein idealer Sport für die Zeit der hedonistischen Singles. Denn tatsächlich war der Alpinismus zu allen Zeiten ein ziemlich exakter Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse.So wie einst der Run auf die Achttausender viel mit Nationalismus und Kolonialismus zu tun hatte, ist auch das trendige Sportklettern Abbild einer gesellschaftlichen Entwicklung.

Bekiffte Hippies

Den Anfang machten die 1968er in den USA: Ein Haufen bekiffter Hippies vollbrachte im kalifornischen Yosemite-Tal schon in den 1970er-Jahren Großartiges an den Felsen.Heute sind die grellbunt gestylten Indoor-Kletterer alpinistischer Ausdruck der körperbewussten "Generation Fitness", die notfalls auch ohne viel Naturkontakt auskommt.

Wie sehr sich inzwischen dieser Sport von der Natur weg bewegt hat, zeigt eine aktuelle Debatte im Deutschen Alpenverein. Dort fordern immer mehr junge Funktionäre, die Vereinsgelder in neue Kletterhallen zu investieren und notfalls Hütten in den Alpen aufzulassen.

Und im Unterschied zu Tagen des heroischen Bergsteigens ist der Klettersport längst keine Männerdomäne mehr. Mädchen- und Frauenseilschaften sind eine Selbstverständlichkeit. Auch das ist Abbild der gesellschaftlichen Veränderungen.

Gefährlich? Nicht wirklich!

"Die ganz Großen kommen auch aus dieser Szene", sagt Kieninger über das Hallenklettern und das Bouldern. Er meint damit beispielsweise David Lama. Der 26-jährige Tiroler ist der weltweit derzeit wohl stärkste Alpinist, der neben zahlreichen Siegen bei Wettkämpfen auch als Expeditionskletterer erfolgreich ist.

Noch einen Vorteil hat das Herumturnen in den Boulderhallen: Es ist ziemlich ungefährlich, weil man ja nur wenige Meter vom Boden abhebt. Und wenn man stürzt, was ziemlich oft vorkommt, landet man auf weichen Matten.

Überhaupt ist das mit der Gefahr bei der Risikosportart Klettern so eine Sache. Natürlich kann man sich verletzen. Es gibt auch Tote. Nicht umsonst braucht man fürs Klettern mit Seil – auch in der Halle – eine profunde Ausbildung.

Aber Klettern ist dennoch ein eher sicherer Sport. 2015 hat es in Österreich laut Alpinunfallstatistik 286 Bergtote gegeben. Davon waren gerade einmal 17 Klettertote. "Vor allem im genormten und gewarteten Umfeld der Kletterhallen ist die Sicherheit sehr hoch", sagt Markus Schwaiger, Sportkletterreferent des Alpenvereins.

Die Zahlen geben ihm recht: In Deutschland hat es seit dem Jahr 2000 sechs tödliche Unfälle in Kletterhallen gegeben – und das bei fünf Millionen registrierten Halleneintritten pro Jahr. Statt über Risiko und Unfälle reden die Kletterer und Kletterinnen naturgemäß lieber über die gesundheitlichen Vorteile ihres Sportes.

Therapie und Erleben

"Klettern macht schön und gesund", sagt der deutsche Schriftsteller Malte Roeper. Er war einst als erster Deutscher, der die Eiger-Nordwand solo durchstieg, selbst ein Star der Szene. In seinem jüngsten Buch, 111 Gründe, klettern zu gehen, schreibt er: "Klettern fördert Beweglichkeit und Muskelaufbau des gesamten Oberkörpers: Bauch-, Brust- und Rückenmuskulatur, Schultergürtel und Arme." Ein "schick trainierter Oberkörper" sei das Ergebnis.

Naheliegend ist auch, dass bald auch die Therapeuten auf die Vorteile des Boulderns und Kletterns draufgekommen sind. Seit den 1990er-Jahren wird Klettern in der Physio- und Ergotherapie zur Mobilisierung, Stabilisierung oder auch für die Feinmotorik eingesetzt.Angefangen habe es bei den Kindern, erzählt Alexis Zajetz, Leiter des Instituts für Therapeutisches Klettern in Gmunden und Salzburg. Irgendwie naheliegend, weil Klettern ja auch lustiger sei als die Arbeit mit dem Medizinball, sagt Kletterlehrer und Psychologe Zajetz.

"monotone Kreuzerltests"

Ganz "erstaunliche Ergebnisse" (Zajetz) erzielen die Therapeuten inzwischen im psychosozialen Bereich. Angststörungen, Depressionen und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen werden an der Kletterwand behandelt. Statt "monotoner Kreuzerltests" beim Psychologen seien "die Bewegungsaufgaben das Hauptgeschäft" bei dieser Therapieform.

Die meist männlichen Kinder und Jugendlichen mit ADHS lernten in der Bewegung Prioritäten zu setzen, Handlungen, also Kletter züge, vorauszuplanen und ihre Impulse zu kontrollieren, erläutert Zajetz. Wissenschaftlich gesehen, funktioniere das mit einem "neurobiologischen Trick": Lernen in der Kindheit erfolge vor allem über die Motorik.

Hört man den vielen Kletterbegeisterten zu, gilt das wohl auch abseits des therapeutischen Kletterns. Noch einmal Malte Roeper: "Klettern ist vom subjektiven Erleben her intensiver als alle anderen Sportarten." Man dürfe, wie als Kind auf die Bäume, wieder nach oben. Man müsse aber auch "verdammt erwachsen sein: Wir müssen einander ja sichern, sonst kann der Spaß tödlich enden." (Thomas Neuhold, 14.8.2016)