Bild nicht mehr verfügbar.

Ein US-Marineinfanterist steht Wache bei einem Außenposten in Helmand.

Foto: REUTERS/Finbarr O'Reilly/File

Kabul – Es ist Amerikas längster Krieg, und trotzdem reißen die Schreckensnachrichten für den Westen und seine Verbündeten in Afghanistan nicht ab. Zehntausende Menschen sind derzeit in der südafghanischen Provinz Helmand vor Kämpfen mit den radikal-islamischen Taliban auf der Flucht.

Die Autobahn, die Helmand mit der Nachbarprovinz Kandahar verbindet, ist Medienberichten zufolge seit Tagen teilweise geschlossen. Die Preise für Lebensmittel hätten sich verdreifacht. Sowohl der Generalstabschef der Armee als auch der Innenminister für Sicherheit seien nach Helmand gereist, um den Kampf persönlich anzuführen, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums laut der Nachrichtenagentur dpa.

US-Truppenrückzug

Die Hiobsbotschaft kommt für die USA zu einer Zeit, in der die Regierung Obama eigentlich bis Ende 2016 ihre Truppenstärke um 1.400 Mann zurückschrauben wollten.

In der Theorie wollten die Vereinigten Staaten verstärkt auf Luftunterstützung und Spezialeinsatzkräfte statt auf eine große Anzahl an Bodentruppen setzen, um die afghanischen Einheiten zu unterstützen. Washington betont, die Strategie würde funktionieren: So konnten US-Spezialkräfte mit Luftunterstützung die Stadt Kundus von den Taliban zurückerobern, nachdem diese die Stadt im September 2015 für zwei Wochen besetzt hatten. Auch Erfolge durch afghanische Truppen gegen den "Islamischen Staat" (IS) in der nordöstlichen Nangarhar-Provinz, unterstützt durch US-Luftwaffe und Spezialkräfte, sollen Beweis für die erfolgreiche Taktik sein.

In der Praxis steht die US-Strategie allerdings auf wackeligen Beinen: Denn das zurückeroberte Kundus wäre wohl nie in die Hände der Taliban gefallen, wären die lokalen afghanischen Einheiten durch den Angriff nicht völlig überfordert gewesen. Auch die Tatsache, dass sich der "Islamische Staat" überhaupt in Afghanistan so leicht ausbreiten und dann für mehr als ein Jahr große Gebiete halten können, spricht nicht unbedingt für den Erfolg der Strategie.

Belagerung

Nun ist sogar Laschkar Gah, die Provinzhauptstadt Helmands, praktisch belagert. Die Taliban seien laut Medienberichten nur noch zwei bis drei Kilometer von der Stadt, in die sich in die vergangenen Wochen zigtausende Menschen vor den Kämpfen geflüchtet haben, entfernt.

"Die Taliban kontrollieren alle Straßen nach Laschkar Gah", sagte der Einwohner Hadschi Kajum. "Die Kontrollposten der Polizei fallen einer nach dem anderen."

80 Bezirke von Taliban kontrolliert

Helmand ist dabei nur ein Puzzlestein in der sich laufend verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan: Die Taliban kontrollieren Schätzungen zufolge derzeit mehr als 80 von rund 400 afghanischen Bezirken. Damit hat sich die Zahl der von den Taliban kontrollierten Bezirke nicht nur verdoppelt, das Einflussgebiet der radikal-islamischen Gruppe ist heute das größte seit dem US-Einmarsch 2001.

Die Provinz Helmand ist das größte Opiumanbaugebiet Afghanistans.
Foto: AFP PHOTO / NOOR MOHAMMAD

Die Dunkelziffer könnte noch höher liegen, da in vielen Bezirken völlig unklar ist, wer sie eigentlich kontrolliert. In Helmand, dem größten Opiumanbaugebiet des Landes, kontrollieren sie bereits mindestens fünf (Now Zad, Musa Qala, Baghran, Dishu und Khanashin) der 14 Bezirke der Provinz.

Al-Kaida nutzt Sicherheitslage

Nicht nur der "Islamische Staat" und die Taliban haben die Situation ausgenützt, sondern auch Al-Kaida nutzte die unübersichtliche Sicherheitslage, um Trainingscamps zu errichten. In Kandahar konnte die radikal-islamische Organisation unter Führung von Ayman az-Zawahiri ein großes Ausbildungslager mehr als ein Jahr ungestört betreiben, bevor es von US-Streitkräften entdeckt und zerstört wurde. Zuvor war bereits in der Provinz Paktika ein Al-Kaida-Trainingscamp zerstört.

Die Antwort der US-Regierung auf die eskalierende Gewalt lautete zunächst, den geplanten Truppenrückzug zu verlangsamen. Ursprünglich waren nur noch 5.400 Mann für Ende 2016 vorgesehen. Mittlerweile wurde die Zahl auf 8.400 erhöht. (stb, 11.8.2016)