Tübingen – In Österreich droht zwischen 3.000 und 4.000 Menschen die schleichende Erblindung, sie leiden an der unheilbaren Netzhauterkrankung Retinitis pigmentosa. In Deutschland sind es 30.000 bis 40.000 Personen.

Bei der angeborenen Erkrankung gehen die Lichtsinneszellen der Netzhaut des Auges nach und nach unter. Dieser Vorgang beginnt meist schon im Jugendalter an den äußeren Rändern des Gesichtsfelds und dringt im Laufe der Zeit weiter nach innen vor. Dadurch entsteht bei den Betroffenen ein "Tunnelblick", der das Orientierungsvermögen einschränkt.

"Die Patienten erkennen Hindernisse zu spät, sie stürzen häufiger, und das Risiko, als Fußgänger im Straßenverkehr zu Schaden zu kommen, ist erhöht", sagt Susanne Trauzettel-Klosinski von der Universität Tübingen. "Viele Menschen mit Tunnelblick trauen sich kaum mehr ihre Wohnung zu verlassen und am öffentlichen Leben teilzunehmen", ergänzt die Expertin.

Der Effekt von sechs Wochen Training

Tübinger Augenärzte haben nun ein computerbasiertes Trainingsprogramm für Menschen mit Retinitis pigmentosa entwickelt. Dabei sitzt der Patient vor einem Computer, auf dessen Bildschirm zufällige Zahlen erscheinen. Der Patient soll diese mit der Computermaus wegklicken. Einige Zahlen erscheinen zwar außerhalb des Gesichtsfelds, durch gezielte Bewegungen der Augäpfel soll der Patient aber lernen, auch diese zu erfassen. Ein ähnliches Training wird den Medizinern zufolge bereits bei Schlaganfallpatienten genutzt, bei denen der Hirnschaden zu einem Gesichtsfeldausfall geführt hat.

In einer ersten klinischen Studie testeten 25 Patienten mit Retinitis pigmentosa das PC-Programm zu Hause. Sie trainierten an fünf Tagen pro Woche für jeweils 30 Minuten. Das Ergebnis: Nach sechs Wochen Training reduzierten die Betroffenen ihre Reaktionszeiten im PC-Training um 37 Prozent. Zudem konnten die Studienteilnehmer bei einem Gehtest die Hindernissen schneller und mit weniger Fehlern absolvieren als die Vergleichsgruppe, die nur an einem Lesetraining teilgenommen hatte.

Während des Gehtests trugen alle Teilnehmer ein Gerät, das die Augenbewegungen registrierte. Eine Analyse dieser Aufzeichnungen zeigte, dass die Probanden vermehrt die Umgebung ihres eingeschränkten Gesichtsfeldes erkundeten. "Durch das Training haben sie gelernt, die Bewegung ihrer Augäpfel bewusst zu steuern – so nehmen sie Hindernisse besser wahr als untrainierte Patienten", erklärt Trauzettel-Klosinski. (red, 10.8.2016)