Fidel Castro auf dem 7. Kongress der Kommunisten im April 2016.

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Die beiden Castro-Brüder auf einem Poster älteren Datums im Juli 2016 in der Hauptstadt Havanna: "Jetzt gewinnen wir den Krieg!"

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Die Nationalhymne dröhnte etwas verzerrt aus den uralten Lautsprechern, die der Revolutionsrat Anfang August 2006 auf den kleinen Platz im Zentrum von Havanna gestellt hatte. Der Andrang zum "Akt der revolutionären Bekräftigung" war größer als sonst bei Parteiversammlungen. Alle lauschten gespannt den sozialistischen Parolen, die ein Offizier in olivgrüner Uniform ins Mikrofon brüllte und mit den Worten "Viva Raúl!" beendete. Wenige Tage zuvor hatte Fidel Castro aus gesundheitlichen Gründen die Amtsgeschäfte seinem jüngeren Bruder Raúl übertragen. Wegen Darmblutungen habe der Comandante sich einem komplizierten chirurgischen Eingriff unterziehen müssen und sei für einige Wochen außer Gefecht, hieß es in der im Staatsfernsehen verlesenen Mitteilung – und die ganze Welt spekulierte, ob der legendäre Revolutionsführer wohl noch am Leben sei.

Zehn Jahre ist diese Szene jetzt her. Fidel lebt immer noch und wird am kommenden Samstag 90, aber das Sagen hat nun sein jüngerer Bruder. Vieles hat sich seither getan. Statt "Sozialismus oder Tod" werden die Kubaner nun auf einen "prosperierenden und nachhaltigen Sozialismus" eingeschworen. Wirtschaftsreformen wurden in Angriff genommen, Kleinunternehmer legalisiert, die Reisefreiheit eingeführt, die Beziehungen zu den USA normalisiert – und dennoch ist die Insel in diesen Tagen von einer Aufbruchstimmung weiter entfernt denn je. 82 Prozent der Kubaner finden laut einer Umfrage des kubanischen Zentrums für Menschenrechte, dass sich die Situation nicht verbessert habe.

Zögerliche Reformen

Schwül und drückend liegt die Sommerhitze über der Stadt. Wer kann, verzieht sich an die stadtnahen Strände. Durchs Zentrum schlendern ausländische Besucher, inzwischen sind auch viele US-Amerikaner darunter. 161.000 besuchten im Jahr 2015 das Land. Aber die Zuwächse im Tourismus reichen nicht, um die Wirtschaft in Gang zu bringen. "Die Reformen waren zu zögerlich und haben bisher kein tragfähiges Wirtschaftsmodell hervorgebracht", sagt der Ökonom Pavel Vidal. Nun droht die Krise im sozialistischen Bruderland Venezuela Kuba mit in den Abgrund zu reißen. Sogar von einer "neuen Sonderperiode" wie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion reden manche.

Die Öffnung Kubas kommt einen Tick zu spät, die Boomphase der Weltwirtschaft ist zu Ende. Im neuen Freihandelshafen von Mariel, 50 Kilometer westlich von Havanna, haben sich bisher nur eine Handvoll Firmen angesiedelt. Raúl Castro gilt als Bewunderer des chinesischen Modells der Marktwirtschaft mit Einparteienstaat. Doch Kuba hat es damit ungleich schwerer, die inneren Widerstände sind groß, und der Drahtseilakt zwischen Reformen und Stillstand ist nicht leicht. Verhieß der historische Besuch von US-Präsident Barack Obama im März noch Ersteres, legte der 7. Parteitag im April eine Vollbremsung hin. Es gab weder personelle noch programmatische Erneuerungen oder neue Reformvorhaben, die Basis wurde von den Debatten ausgeschlossen.

Neue Generation

Dem steht eine zunehmend kritische und ausdifferenzierte Gesellschaft gegenüber. Drei Viertel aller Kubaner wurden nach der Revolution geboren. Sie vergleichen sich nicht mehr mit den blutigen Diktaturen der Vor-Castro-Zeit, sondern mit Freunden und Verwandten im US-Konsumparadies Miami. Einige haben es geschafft – die Kinder der Castros oder anderer Parteibonzen, aber auch Musiker, Künstler und Sportler, die im Ausland gebucht werden. Andere wollen ihr Schicksal noch stärker in die eigene Hand nehmen, als es der Staat erlaubt, und wandern aus. Eine halbe Million Kubaner arbeitet bereits auf eigene Rechnung. Und die neuen Kleinkapitalisten fordern zunehmend selbstbewusst Großmärkte, Importlizenzen, Steuererleichterungen.

Die Führung zeigt sich um des sozialen Friedens willen flexibel – außer es geht um politische Forderungen. Demokratische Wahlen oder ein Mehrparteiensystem stehen nicht zur Debatte; Dissidenten werden weiterhin schikaniert und inhaftiert. "Es ist ein bisschen wie beim Danzón", sagt der unabhängige Journalist Angel in Anspielung auf den langsamen Paartanz. "Man bewegt sich, kommt aber nicht von der Stelle." (Sandra Weiss aus Havanna, 10.8.2016)