Wien – Es grenzt an einen Skandal, was sich an heißen Sommertagen im Wiener Straflandesgericht abspielt. Es geht dabei aber nicht um die Leistung von Richtern und Richterinnen, der Staatsanwaltschaft oder der Verteidigung – beziehungsweise nur indirekt. Es geht um die klimatischen Zustände in den Verhandlungssälen.

Die Rechtssprechung ist jener staatliche Bereich, der wohl am massivsten in das Leben der Bürger eingreift. Schließlich wird über Unschuld oder Schuld und damit über Vor- und sogar Haftstrafe entschieden. Wenn solche Entscheidungen in stickig-schwülen Räumen mit Lufttemperaturen über 30 Grad getroffen werden, ist das gelinde gesagt problematisch.

Wie sehr, zeigte sich etwa am Montag beim Mordprozess gegen Slobodan T., einem Geschworenenverfahren, in dem also Laienrichter entscheiden müssen. Bereits nach 40 Minuten ist die Luft so unerträglich, dass der Beisitzer das Fenster öffnet, den Talar ablegt und im Kurzarmhemd weiterverhandelt. Nach zwei Stunden sind dann alle sechs Fenster offen, dennoch döst ein Geschworener augenscheinlich immer wieder kurz ein. Bei einem mehrstündigen Prozess, bei dem es potenziell um eine lebenslange Haft geht.

"Fair Trial" in Gefahr

Selbst Gerichtspräsident Friedrich Forsthuber, der sich seit Jahren um eine Klimatisierung der Verhandlungssäle im größten Gericht Österreichs bemüht, merkt im STANDARD-Gespräch an, "dass man sich durchaus auch um den Grundsatz des Fair Trials Gedanken machen muss".

Forsthubers Problem: Eine Renovierung des "Grauen Hauses" und der angeschlossenen Justizanstalt Wien-Josefstadt wird seit Jahren geplant, aber immer wieder verschoben. "Vor zwei Jahren hat es schon ein Konzept gegeben, aber offenbar ist die Finanzierung ein Problem."

Auf 100 Millionen Euro wurde damals der Bedarf für die Generalsanierung geschätzt – wobei auf das Gericht allerdings nur 20 Millionen Euro entfallen würden. Der Präsident wünscht sich vom Justizministerium daher, zumindest in seinem Haus die Vorarbeiten, die eigentlich schon laufen sollten, durchzuführen.

Auch Elektrik an der Kapazitätsgrenze

Denn es hapert nicht nur an der Temperatur. "Wir könnten wahrscheinlich gar keine Klimaanlagen installieren, da wir auch bei der Elektrik am Plafond sind", sagt Forsthuber. Bereits derzeit würden gelegentlich Computer ausfallen, zusätzliche Belastung würde das Netz wohl überfordern.

Als das Gebäude zuletzt in den 1980er- und 1990er-Jahren saniert und umgebaut wurde, hatten manche wohl noch nicht mit den Folgen des Klimawandels gerechnet. Der damalige Architekt László Egyed hatte zwar durchaus den Einbau von Klimaanlagen vorgeschlagen, Verantwortliche waren aber überzeugt, wegen "vier, fünf Tagen im Jahr" lohne der Aufwand nicht.

Eine Fehleinschätzung. Zwischen den 1960er- und 1990er-Jahren gab es im Schnitt zehn Tropentage mit über 30 Grad Celsius in Wien, zeigt eine Studie der Universität für Bodenkultur. In 25 bis 50 Jahren sollen es im Schnitt doppelt so viele sein. Schon jetzt gibt es Ausreißer: Im Jahr 2003 beispielsweise gab es 40 Hitzetage.

Fernkälte als Hoffnung

Forsthuber hat eine kleine Hoffnung: Fernkälte. An das Fernwärmenetz ist das Gebäude bereits angeschlossen, der Gerichtspräsident hat bei Wien Energie die Fühler ausgestreckt, ob es die Möglichkeit für die ebenfalls angebotene Fernkälte gibt, um damit Synergieeffekte zu nutzen.

Im Justizministerium ist das Problem bekannt, bestätigt Sprecherin Britta Tichy-Martin. Man habe eine Arbeitsgruppe gebildet, an der auch der Gebäudeeigentümer, die Bundesimmobiliengesellschaft, teilnimmt. Wann sich die Situation aber konkret bessern soll, bleibt offen. "Der nächste Schritt im Herbst ist, dass das Justiz- dem Finanzministerium das geplante Vorhaben vorstellen wird", sagt Tichy-Martin. (Michael Möseneder, 10.8.2016)