Auf dem öffentlichen Strand in Beidaihe erholen sich auch Normaltouristen – von diesen abgeschirmt urlaubt Chinas Machtelite.

Foto: Johnny Erling

Es geht nicht nur ums Baden: Jeden Sommer fahren Chinas Parteieliten mit ihren Familien zum traditionellen Kurzurlaub ans Meer und wollen dort unter sich bleiben. Noch nie war der 80.000-Einwohner-Ort am Meer, wo sich seit Chinas Reformbeginn auch Normaltouristen erholen dürfen, so stark überwacht wie in diesen Tagen. Häufiger als im vergangenen Jahr marschieren mit Maschinenpistolen bewaffnete Militärstreifen durch den Ort und über die Uferstraßen. Ein gepanzertes Militärfahrzeug steht mitten auf der Kreuzung des einstigen Fischerorts. Beidaihe wurde 1898 als luxuriöse Sommerfrische für Pekinger Diplomaten gegründet und 1954 von Mao Tsetung zu seiner "Sommerhauptstadt" gemacht. Heute ist das Kleinstädtchen nach einem Tourismusabkommen mit Moskau weitgehend nach russischer Folklorearchitektur umgebaut und fast alle Läden sind chinesisch wie kyrillisch beschriftet.

Die demonstrative Überwachung der abgeschirmt von den Touristen urlaubenden Parteieliten wird nicht versteckt. Bei klarem Wetter lässt sich mit bloßem Auge das enorm verstärkte Aufgebot an Kriegsschiffen und Küstenschutzbooten sehen, die vor der Bucht mit ihren 16 Kilometer langen Sandstränden ankern.

Neue Vorsichtsmaßnahme

Kontrollen werden dieses Jahr ganz groß geschrieben. Reisende mit Ziel Beidaihe müssen Sicherheitsausweise bis zum Ende der Saison mit sich tragen. Hinter der Autobahnmautstelle Xianghe, wo die Provinz Hebei beginnt, lässt die Polizei dafür die Personalpapiere aller Autofahrer einscannen. Zum ersten Mal weiß sie genau, wer sich im Badeort aufhält – eine neue Vorsichtsmaßnahme in Zeiten des weltweiten Terrorismus.

Doch hinter der Überwachung steckt vor allem politisches Sicherheitskalkül – zwei Monate vor einem wichtigen Parteiplenum des Zentralkomitees, für das Chinas starker Mann Xi Jinping die Säuberung von Partei und Jugendverband vorbereiten lässt. Es ist die letzte ZK-Sitzung vor Chinas kritischem 19. Parteitag Ende 2017. Dann endet für den Staats-, Partei- und Armeechef in Personalunion die erste Hälfte seiner auf zehn Jahre begrenzten Amtszeit. Bis auf Xi und Premier Li Keqiang sind die fünf weiteren der sieben Mitglieder im Ständigen Ausschuss des Politbüros nach den Parteiregularien zu alt für eine zweite Amtszeit.

Die Weichen für das ZK-Plenum und für das große Revirement unter Xi werden in Beidaihe gestellt. Es ist der einzige Ort, wo die innere Führung wichtige politische und Personalentscheidungen informell ausfechten kann, bevor sie diese von den Parteigremien absegnen lässt. Die zehn Tage Badeurlaub der Führung, über deren Geschachere nichts nach außen dringt, sind ein Quell für wild wuchernde Spekulationen.

Außen- und innenpolitischer Gegenwind

Dieses Jahr kocht die Gerüchteküche besonders heftig. Berichtet wird etwa über den vermeintlichen Streit zwischen Xi und Premier Li, wie Chinas krisenhafter Wirtschaft beizukommen sei – mit mehr Markt oder mehr Plan, wie die Konjunktur angekurbelt werden soll – mit mehr Subventionen oder mehr Marktöffnung.

Ohnehin stehen Xi und seine Mannschaft vor außen- und innenpolitischem Gegenwind. Der Schiedsspruch von Den Haag über das Südchinesische Meer hat Pekings Expansionspläne zurückgeworfen und schürt neue Territorialprobleme mit Hanoi, Manila und indirekt auch mit Indien. Mit Südkorea ist Eiszeit angesagt, nachdem Seoul mit den USA ein Thaad-Antiraketen-Abwehrsystem gegen Nordkorea errichten lässt. Die neue Nach-Brexit-Regierung in London irritiert Chinas Führer wegen ihrer Zweifel an einer Nuklearstromkooperation mit Peking, ebenso wie die EU, die Peking zur Bekämpfung des Stahldumpings auffordert. Überall stößt Chinas Regierung – nach außen – bisherigere Freunde vor den Kopf und verhärtet sich – nach innen – mit ihrer Unterdrückung allen Dissenses. Ein beredtes Beispiel sind die seit Anfang August täglich vor Gerichten in Tianjin inszenierten rechtsbeugenden Aburteilungen kritischer Menschenrechtsanwälte, die auch noch öffentlich ihre Schuld gestehen müssen.

Wirtschaft im Vordergrund

Das beherrschende Thema in Beidaihe ist die Wirtschaft, die unter Abwärtsdruck und gefährlicher Verschuldung der Unternehmen und Kommunen leidet. Xi denkt offenbar an Megafusionen, um die Staatsindustrie zu stärken. Ende Juli gaben die beiden größten Stahlunternehmen, Shanghai Baosteel und Wuhans Wugang, ihren Plan bekannt, sich zum Monsterstahlkonzern zu vereinen. Ende 2015 waren die Bahnhersteller CNR und CSR zusammengegangen, um Hochgeschwindigkeitsbahnen für die Weltmärkte zu bauen. Fusionieren wollen auch die größten Containerschiffgruppen. Am Mittwoch verkündeten die beiden staatlichen Tourismusanbieter ihre Zusammenlegung zur China-Tourismus-Gruppe.

China scheint wieder auf dem alten Weg zurück zu Staatsmonopolen zu sein, von politischen Reformen ist im Umfeld von Beidaihe nichts zu hören. Die Antworten, wie sich Chinas Führer mit- oder gegeneinander zusammenraufen, werden erst auf den Parteitagen bekannt werden.

Indirekte Information über Aufenthalt Xis

Alles in Beidaihe geht so verschwiegen zu, dass selbst die Einheimischen nur anhand der verschärften Sicherheitsmaßnahmen merken, wann die höchsten Parteiführer ihren politischen Urlaub angetreten haben. Doch es gibt ein ritualisiertes Verfahren, mit dem Peking immer Anfang August die Öffentlichkeit indirekt informiert, dass der Präsident seine Villa bezogen hat. Eine Abordnung seiner engsten Gefolgsleute trifft dann öffentlich mit verdienten chinesischen Wissenschaftern zusammen, denen die Partei Sommerferien am Strand spendiert.

Am Freitag war es wieder so weit. Propagandachef Liu Yunshan, Politbüromitglied Ma Kai und der Chef des ZK-Organisationsbüros Zhao Leji empfingen 56 Forscher – die 16. derartige Urlaubergruppe seit 2001. Die wirkliche Nachricht dahinter: Xi ist in Beidaihe. Pekings Eliten bleiben ansonsten unter sich. Dafür sorgen die Sicherheitsbehörden. Selbst wenn sie dazu in Badehosen schlüpfen müssen. (Johnny Erling aus Beidaihe, 8.8.2016)