Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Radfahrer vor dem Sitz der Bank of Japan in Tokio, auf die nicht nur die Japaner gebannt schauen. Deren Chef, Haruhiko Kuroda, will die Ausrichtung der Notenbank überdenken.

Foto: REUTERS/Yuriko Nakao/File Photo

Tokio – Japan steht am Scheideweg. Der Berg an Staatsschulden wächst in neue Rekordhöhen und lässt Experten zweifeln, ob die Regierung in Tokio die Lage noch im Griff hat. Gerade versucht Ministerpräsident Shinzo Abe zum wiederholten Mal, die Wirtschaft mit einem riesigen Konjunkturprogramm nach oben zu peitschen. Doch auch das hat schon früher allenfalls kurzzeitig funktioniert.

Pessimisten, die gar eine Staatspleite fürchten, hält der Berliner Wirtschaftswissenschafter Jörg Rocholl aus dem wissenschaftlichen Beirat von Finanzminister Wolfgang Schäuble zwar entgegen: "Das unmittelbare Risiko eines Staatsbankrotts ist gering." Japan brauche aber einen grundlegenden Politikwechsel: "Andernfalls droht eine Verringerung der Finanzmarktstabilität." So sieht es auch der Internationale Währungsfonds (IWF).

Notenpresse auf Hochdruck

Nach Einschätzung des IWF wird die Staatsverschuldung Japans in diesem Jahr die Marke von 250 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung übertreffen. Darin sind noch nicht einmal die Milliarden aus dem neuen Konjunkturprogramm enthalten. Dass die Gläubiger – also die Käufer der Staatsanleihen – größtenteils Japaner und nicht Ausländer sind, mindert zwar die Gefahr für die Weltwirtschaft. Dennoch: Die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt schafft es nicht, mit immer neuen Konjunkturstützen und einer zusehends lockeren Geldpolitik zu Stabilität und robustem Wachstum zurückzufinden.

Womöglich wird die Notenpresse sogar noch stärker angeworfen. Derzeit gibt es Spekulationen, Japan könnte eine Art ersten Feldversuch für Helikoptergeld wagen. Die Idee hinter einer solchen ultra-expansiven Geldpolitik: Der Staat gibt Verbrauchern Geldgeschenke, um Konsum und somit Wachstum zu steigern. Der frühere Chef der US-Notenbank Fed, Ben Bernanke, gilt als ein Verfechter dieses Konzepts. Er war jüngst in Tokio bei Abe und Notenbankchef Haruhiko Kuroda. Regierungs- und Zentralbankvertreter beeilten sich aber zu versichern, es ginge nicht um Helikoptergeld.

Dass eine solche Politik die atemberaubenden Staatsschulden weiter nach oben treiben und die Notenbank die Geldpresse anwerfen würde, halten die Anhänger dieser Idee für ein beherrschbares Risiko. Mehrheitsmeinung in der Expertenwelt ist das aber nicht.

In Sorge ist auch Rocholl. Die Schulden Japans hätten jedes erträgliche Maß überschritten. Das Ruder müsse herumgerissen werden: "Dies würde eine komplette Umkehr in der staatlichen Finanzpolitik erfordern und in jedem Fall sehr lange dauern."

"Abenomics" wirkt nicht

Für die als Abenomics bekannte japanische Wirtschafts- und Finanzpolitik hatte Namensgeber und Premier Abe drei Ziele ausgegeben: ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent, eine Inflationsrate von zwei Prozent und einen Überschuss im Primärhaushalt, also ohne die Schuldendienste des Landes. Erreicht werden sollte das mit "drei Pfeilen": einer aggressiv-lockeren Geldpolitik, massiven, schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen und Strukturreformen. Mehr als drei Jahre danach ist das Ergebnis ernüchternd: Die Wirtschaft könnte laut IWF mit 0,1 Prozent Zuwachs 2017 stagnieren. Die Gefahr einer Deflation ist nicht gebannt und Strukturreformen blieben aus.

Ziele außer Reichweite

IWF-Experten befinden daher: "Die Ziele sind außer Reichweite." Ohne Generalüberholung von Abenomics könne man diese vergessen. Kaum ein Fachmann geht davon aus, dass mit dem Konjunkturprogramm aus staatlichen und privaten Mitteln von 240 Milliarden Euro, das die Regierung dieser Tage beschloss, alles besser wird. Von einem Kurzzeit-Wachstumsimpuls, der nichts an den trüben Aussichten der Wirtschaft ändert, spricht der IWF.

Notenbankchef Kuroda hat einen weiteren Pfeil im Köcher. Er kündigte an, die geldpolitische Ausrichtung auf den Prüfstand zu stellen. "Das dürfte ein weiterer Schritt hin zu einer stärkeren Zusammenarbeit mit der Regierung sein und ein Hinweis auf Helikoptergeld", sagt Ökonom Daiju Aoki vom Finanzhaus UBS Securities.

Volkswirt Cyrus de la Rubia von der HSH Nordbank erläutert die Logik dahinter: Würde die Notenbank vom Staat eine Anleihe von 100 Milliarden Euro mit unendlicher Laufzeit und null Prozent Verzinsung kaufen, könnte der Staat dieses Geld an seine Bürger verschenken. Der Clou dabei: Seine Zahlungsverpflichtungen würden nicht steigen und er hätte zugleich die Möglichkeit, das zusätzliche Geld für Investitionen zu verwenden. Zahlreiche Fachleute sehen in solchen Ansätzen allerdings eher gefährliche Irrwege. (Reuters, 6.8.2016)