Seine "Olympiade" hat den Schriftsteller nicht nur um die Welt geführt, es war auch "eine Reise zu mir selbst".

Thomas Dorn

Geboxt hat er in Brooklyn, geschwommen ist er in Sri Lanka, gerudert ist er in Wien, mit dem Bahnrad fuhr er in London, Tischtennis spielte er in Wien.

Thomas Dorn

"Ich messe dem Generalisten generell viel mehr Bedeutung bei als dem Spezialisten."

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STANDARD: Sie haben vier Jahre lang Sport betrieben, unterschiedlichste Disziplinen kennengelernt. Was ist geblieben?

Trojanow: An erster Stelle bleibt die Erkenntnis – das ist für mich das Wichtigste. Das heißt, ich habe jetzt eine klare Vorstellung davon, wie Geist und Körper zusammenwirken, ich habe eine Bereicherung erlebt. Konkret ist es tatsächlich so, dass ich manchmal eine unbändige Lust auf eine bestimmte Sportart verspüre, einmal war es Ringen, ein anderes Mal Rudern. Was für einen Schriftsteller immer bleibt, ist das Buch.

STANDARD: Sie haben auch Ihren Körper mit einem Buch verglichen, in dem Sie gelesen haben.

Trojanow: Und da haben sich plötzlich Seiten aufgetan, von denen ich nie etwas gewusst habe. Das ist ja das Interessante, dass man meint, sowohl im Geistigen wie auch im Körperlichen, sich zu kennen – und dann stellt man fest, wie viele Aspekte des eigenen Selbst noch nie richtig gefordert wurden.

STANDARD: Gab es eine größte Überraschung, einen größten Schmerz, eine größte Freude?

Trojanow: Superlative bedeuten quasi immer die Reduktion auf eine Disziplin. Da ich ein passionierter Generalist bin, zerschmettern die Superlative an einem Grundkonzept, das da lautet, möglichst breit aufgestellt zu sein. Ich bin generell jemand, der dem Generalisten viel mehr Bedeutung beimisst als dem Spezialisten.

STANDARD: Sie schreiben ja auch, dass es, wenn es zum Vergleich mit den Maschinen kommt, der Vorteil des Menschen sein könnte, breit aufgestellt zu sein.

Trojanow: Ja, absolut. Ich hab das am Beispiel Schießen angesprochen. Ein Cyborg kann besser schießen als ein Mensch und eine Maschine besser als ein Cyborg. Das heißt, bei hoch spezialisierten Herausforderungen werden wir den zunehmend intelligenter werdenden Maschinen stets unterliegen. Aber die Fähigkeit, sehr viele unterschiedliche Übungen und Herausforderungen zu meistern, ist beim Menschen einmalig. Das wird in absehbarer Zeit keine Maschine nachahmen können.

STANDARD: Was von allen Ihren Übungen als die irrsinnigste anmutet, ist der Marathon, nämlich Ihre Herangehensweise an den 42-km-Lauf. Sie hatten nur einige wenige Trainingsläufe über maximal zehn Kilometer intus – haben Sie den Marathon auf die leichte Schulter genommen?

Trojanow: Das war damals leider ein unglücklicher Herbst. Ich hab mir eine schwere Grippe zugezogen, die ich nicht auskurieren konnte, weil ich nonstop auf Lesereise war. Deshalb war die Vorbereitung fast inexistent. Leider hab ich mir mit Athen auch einen schwierigen Marathon ausgesucht. Am Ende bin ich nur noch gehumpelt, nach knapp sechs Stunden war ich im Ziel.

STANDARD: Der Normalverbraucher besiegt im Marathon sich selbst. An der Spitze geht es darum, alle anderen zu schlagen. Sie zitieren Diogenes, der fragt, was für eine Ehre es sei, Schwächere zu besiegen. Was für eine Ehre ist das wirklich, wieso ist das Gewinnen im Sport so wahnsinnig wichtig?

Trojanow: Wenn ich das wüsste, könnten wir die Welt verbessern. Ich glaube tatsächlich, dass diese Hybris des Siegens mit dieser Obsession, gewinnen zu wollen, einer der fatalen negativen Aspekte des Menschlichen ist. Es ist ja nichts anderes als eine profane, oberflächliche Momentaufnahme von Leistungsfähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt. Der Sieger ist ein exemplarischer Repräsentant von Macht, er thront über den anderen. Deshalb auch die Rituale und Insignien für den Sieger – das Treppchen, die Medaillen, die Flagge, die am höchsten weht.

STANDARD: Peter Schröcksnadel hat den Sport kürzlich einen Ersatzkrieg genannt. Ist er das?

Trojanow: Das ist völlig an den Haaren herbeigezogen, dafür gibt es historisch überhaupt keine Belege. Im Gegenteil. Wenn man schon den Vergleich mit dem Krieg ziehen will, müsste man sagen, Sport ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.

STANDARD: Es ist schließlich auch eine Mär, dass während der Olympischen Spiele in der Antike Waffenruhe geherrscht hätte.

Trojanow: Das ist eine Mär wie der Amateurstatus, an dem das IOC so lange obsessiv festgehalten hat. Die alten Griechen waren alles andere als Amateure. Die haben von den Stadtstaaten so hohe monatliche Zahlungen erhalten, dass sie ausgesorgt hatten. Sie haben sich mit finanzieller Hilfe sehr professionell vorbereitet, es gab richtige Trainingslager. Die Geschichte der Olympischen Spiele – ob in der Antike oder in der Moderne – ist ein gutes Beispiel für das Auseinanderfallen von idealistischer Rhetorik und perfider Realität.

STANDARD: Aktuell wird das IOC heftig dafür kritisiert, Russland nicht von Olympia ausgeschlossen zu haben. Auch von Ihnen?

Trojanow: Ich bin hin und her gerissen. Natürlich gibt es staatlich gestütztes Doping in Russland, mehr Belege kann man gar nicht sammeln. Andererseits ist die Konzentration auf Russland problematisch, weil es vielen anderen dazu dient, so zu tun, als hätte man bei sich zu Hause – ob in Österreich, Deutschland, den USA oder sonst wo – völlig saubere und völlig unproblematische Verhältnisse. Was ja eine völlige Täuschung wäre. Darüber hinaus wird nicht diskutiert, dass Leistungssport ohne medizinische Dauerbetreuung überhaupt nicht möglich ist. Und ist es nicht schon abzulehnen und verwerflich, wenn ein Mensch die ganze Zeit medizinisch überversorgt wird, damit er diese Höchstleistung erbringen kann? Eigentlich wäre die Idee sympathisch, dass er von sich aus etwas leistet und nicht aufgrund der geballten Expertise von Wissenschaft und Pharmazeutik.

STANDARD: Kommt das Publikum am Ende drauf, dass Sportler keine besseren Menschen sind?

Trojanow: Wir stellen uns das Spektakel sehr gerne als etwas Reines vor. Es wird etwas aufgeführt, das eigentlich völlig überflüssig ist. Was für einen Sinn soll es haben, auf dem Trampolin neun Meter in die Höhe zu springen und einen dreifachen Salto zu machen? Aber der Rahmen, der gesetzt wird, ist fast wie ein Gottesdienst. Er ist durchkomponiert, durchritualisiert, besteht aus Reglements, Dogmen, Verboten. Diesen Raum des Spektakels haben wir uns lange Zeit als nicht kontaminiert von den Brutalitäten des Alltags vorstellen wollen. Sie und ich und andere Kollegen haben dazu beigetragen, wir haben ein Narrativ des Sentimentalen und des Kitschigen geflickt. Der Leidende, der über sich hinauswächst et cetera. Da schwebt ein großer Unterhaltungsroman mit.

STANDARD: Sie merken in Ihrem Buch an, dass die gebildeten Kreise den Sport verachten. Woher kommt diese Verachtung?

Trojanow: Es gibt da eine Geisteshaltung, die olympisch ist, aber in einem anderen Sinne. Man thront über den Wolken und hat eine verächtliche Haltung zu den Niederungen, wo es schmutzig ist, man möchte sich die Hände nicht schmutzig machen, nicht schwitzen. Dieser Thron im Olymp war lange Zeit der beliebte Aufenthaltsort deutschsprachiger Dichter und Denker. Dabei gab es in der deutschen Literatur eine Reihe von sehr obsessiven Gehern. Hölderlin zum Beispiel ist an manchen Tagen fünfzig Kilometer gegangen, eine enorme Leistung. Aber daraus ist keine Bewegung oder Tradition entstanden. Es wurde auch nicht erkannt oder reflektiert, inwieweit das Körperliche eine Bereicherung, Befruchtung des Geistigen sein könnte. Es gibt in der deutschsprachigen Literatur jede Menge Schnösel, die das Volksnahe völlig verachten.

STANDARD: Einer, den man nicht unbedingt mit Sport, aber jedenfalls mit Brasilien verbindet, ist Stefan Zweig. Haben Sie Bezug zu ihm, bedeutet er Ihnen etwas?

Trojanow: Das wird Sie vielleicht überraschen – ich halte ihn für schwer überschätzt. Ich bin ein ganz großer Fan seiner Zeitgenossen Hermann Broch und Joseph Roth. Natürlich spielen Zweigs Ausstrahlung und seine Biografie eine große Rolle in seiner Mythologisierung. Er hatte sehr viele Kontakte mit vielen anderen Intellektuellen, war hochgeschätzt, sehr vielfältig – und dann sein tragisches Ende. Aber Sternstunden der Menschheit ist für mich eigentlich Kitsch.

STANDARD: Wie, glauben Sie, wird Rio mit Olympia zurande kommen und Olympia mit Rio?

Trojanow: Ich habe große Bedenken. Vor zwei Jahren war ich bei der Buchmesse in Rio. Das Messegelände liegt neben dem Olympiagelände. In dieser Stadt von einem Punkt zu einem anderen zu kommen dauert Stunden. Es ist eine Stadt mit unglaublichen Gegensätzen, es ist eine Stadt mit unglaublicher Gewalttätigkeit. Die Brasilianer werden mit einem enormen Sicherheitsaufgebot die Spiele isolieren. Aber möchte man Sport in so einem paramilitärischen Komplex erleben? Das ist einer der Gründe, warum ich nicht hinfahren werde.

STANDARD: Kann Rio, kann irgendeine Stadt von Olympischen Spielen profitieren?

Trojanow: Ich habe den Eindruck, kaum läuft die Eröffnungsveranstaltung, sind alle politischen Fragen passé. Dann dominiert nur noch die Sportberichterstattung. Im Guardian war eine Analyse der Folgen der Spiele 2012 in London. Der Breitensport und der Schulsport sind zurückgegangen, von einer groß angekündigten Gesundheitsoffensive blieb wenig übrig. Die tatsächlichen gesellschaftlich relevanten Folgen sind entweder nicht vorhanden oder negativ. Wenn wir ehrlich wären, müssten wir sagen, dass die Spiele jenseits des Spektakels keine positive Wirkung haben. (Fritz Neumann, 5.8.2016)