Eine Person wirft uns eine Beleidigung an den Kopf und doch lächelt sie uns dabei an. Wie soll unser Gehirn die Situation interpretieren? Internationale Wissenschafter haben nun jene neuronalen Mechanismen identifiziert, die uns eine Situation als positiv oder negativ interpretieren lassen. Gelungen ist ihnen das im Experiment mit Hilfe von emotional verwirrenden Szenen aus Filmklassikern wie Quentin Tarantinos "Reservoir Dogs".

Bekommen wir ein Kompliment, ist das für uns eindeutig positiv. Werden wir beleidigt, ist das zweifellos negativ. Viele soziale Situationen lassen sich jedoch keineswegs so einfach deuten: Eine Aussage kann zynisch gemeint sein; eine Person lächelt vordergründig, führt jedoch Ungutes im Schilde; und ein Satz kann vollkommen unterschiedliche Bedeutungen haben, je nachdem, in welchem Ton er gesagt wird. In all diesen Fällen ist es wichtig, dass unser Gehirn sie angemessen einordnen kann, sonst laufen wir Gefahr, unbedarft an eine für uns heikle Situation heranzugehen oder unbegründet in einer eigentlich fröhlichen Atmosphäre beleidigt zu sein.

Zwei Gehirnareale entscheiden

Wissenschafter des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften und der Universität Haifa in Israel haben nun herausgefunden, wie das Gehirn solche Schwierigkeiten meistert: "Wir haben zwei Areale im Gehirn identifizieren können, die als eine Art Fernbedienung wirken. Sie bestimmen, wie wir eine Situation einschätzen, und welches der beiden Netzwerke an- oder ausgeschaltet wird", erklärt Studienleiterin Christiane Rohr vom Leipziger Max-Planck-Institut. Demnach ist das eine Netzwerk aktiv, wenn wir eine Szene als erfreulich empfinden, das andere im umgekehrten Fall.

Den Wechsel zwischen beiden Empfindungen übernehmen wiederum zwei Bereiche innerhalb dieser Netzwerke. Der sogenannte Sulcus temporalis superior im Schläfenlappen, der für die Interpretation positiver Ereignisse zuständig ist, und der sogenannte Lobus parietalis inferior im Scheitellappen, der aktiv wird, wenn wir die Ereignisse negativ empfinden. Beide Regionen treten in Aktion, wenn wir mit einer emotional schwierig einzuschätzenden Situation konfrontiert sind.

"Die beiden Regionen scheinen miteinander zu kommunizieren, um so herauszufinden, welche von ihnen aktiviert oder inaktiviert wird", so Hadas Okon-Singer von der Universität Haifa. "Sie legen so vermutlich fest, ob in einer unklaren Situation eher positive oder negative Elemente überwiegen und beeinflussen darüber wiederum andere Hirnbereiche."

Tarantino-Experiment

Zu diesen Ergebnissen gelangten die Neurowissenschafter mit Hilfe emotional verwirrender Filme: Während die Studienteilnehmer in einem funktionellen Magnetresonanztomografen lagen, sahen sie Streifen wie Quentin Tarantinos "Reservoir Dogs", in dem eine Person eine andere foltert, während sie lacht, tanzt und fröhlich die Unterhaltung mit ihrem Opfer sucht. Im Anschluss an die Filmszenen gaben die Probanden Auskunft darüber, ob für sie darin Konflikte enthalten waren und wie sehr die positiven oder negativen Elemente überwogen – sie die Ausschnitte also eher als angenehm oder unangenehm empfanden.

In der Regel gelingt es den meisten Menschen gut, diffizile Situationen entsprechend einzuordnen, einigen jedoch nicht. Für die Betroffenen kann das zu Depressionen, Angstzuständen oder dazu führen, soziale Interaktionen zu vermeiden. Die Neurowissenschafterinnen Rohr und Okon-Singer hoffen daher, dass ihre Erkenntnisse helfen, die neuronalen Abweichungen der Betroffenen zu identifizieren: "Letztlich wollen wir dazu beitragen, Therapien zu entwickeln, die ihnen helfen, schwierige Situationen adäquater einordnen zu können." (red, 5.8.2016)