Die Jishi-Schlucht am Gelben Fluss war vor über 4000 Jahren Schauplatz einer Naturkatastrophe.

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Die Datierung der großen Flut gelang unter anderem anhand von menschlichen Knochen. Diese Menschen von der Lajia-Fundstätte starben, als aufgrund eines Erdbebens, das auch den folgenreichen Erdrutsch auslöste, eine Höhle über ihnen einstürzte.

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Die Illustration veranschaulicht den Ablauf der großen Flut am Gelben Fluss im Jahr 1920 vor unserer Zeitrechnung.

Grafik: Wu Qinglong

Peking/Wien – Es begann alles mit einer gewaltigen Flut am Gelben Fluss – so zumindest will es die Legende: Yu, der mythische Begründer des ersten chinesischen Herrschergeschlechts, der Xia-Dynastie, soll sich im Kampf gegen eine Überschwemmung ungeahnten Ausmaßes im Norden der heutigen Volksrepublik heroisch bewährt haben. Er legte Kanäle an, errichtete Dämme und schaffte es, die Wassermassen schließlich zu zähmen. Diese Großtat verschaffte ihm Autorität unter den lokalen Stammesführern, die sich unter seiner Herrschaft vereinten, und legte damit den Grundstein für die chinesische Zivilisation.

Während vor allem westliche Geschichtsforscher all das für die Reste weit älterer Mythen halten, die späteren Herrschern zur Rechtfertigung ihrer Machtansprüche dienten, sind einige chinesische Historiker davon überzeugt, dass die Ursprünge der Xia-Dynastie auf wahren Begebenheiten beruhen. Archäologische Belege gab es bisher freilich weder für die Naturkatastrophe, noch für die Existenz des Xia-Geschlechts. Und auch die ältesten schriftlichen Aufzeichnungen zur großen Flut und ihren Folgen wurden erst tausend Jahre nach diesen angeblichen Ereignissen verfasst.

Natürlicher Damm

Also alles nur historisierte Sagen und Propaganda nachfolgender Kaiserhäuser? Möglicherweise doch nicht, wie chinesische Wissenschafter um Wu Qinglong von der Peking University nun im Fachjournal "Science" berichten. Die Forscher fanden erstmals überzeugende geologische Belege dafür, dass vor etwa 4100 Jahren an den Ufern des Gelben Flusses tatsächlich eine bedeutende Überschwemmung stattgefunden haben muss.

Wu und seine Kollegen konnten anhand von Sedimentablagerungen sogar eine Rekonstruktion der Ereignisse vorlegen: Angefangen hat demnach alles mit einem Erdbeben, das zu einem enormen Erdrutsch in der Jishi-Schlucht am Oberlauf des Gelben Flusses geführt hatte. Der natürliche Damm staute den Hwang Ho über mehrere Monate hinweg auf, bis schließlich der Druck zu groß wurde, die Barriere brach und eine riesige Flutwelle – möglicherweise mehr als zehn Kubikkilometer Wasser – das Land unterhalb des Dammes weitgehend zerstörte. Bis zu 2.000 Kilometer könnte nach Berechnungen der Forscher die Flutwelle den Gelben Fluss hinabgewandert sein.

Xia-Dynastie womöglich jünger als gedacht

"Die von uns nachgewiesene Katastrophe zeigt verblüffende Parallelen zu den Beschreibungen der mythischen großen Flut in antiken Texten", sagt Wu. Anhand der Radiokarbonmethode konnten die Forscher das Ereignis auf etwa 1920 vor unserer Zeitrechnung datieren. Die Proben stammen von Gebeinen, deren ursprüngliche Besitzer bei jenem Erdbeben zu Tode kamen, das den fatalen Erdrutsch ausgelöst hat. Die Altersbestimmung weist darauf hin, dass die Xia-Dynastie 300 Jahre später ihren Anfang nahm als bisher gedacht, was sich gut mit dem Übergang vom späten Neolithikum zur Bronzezeit im Tal des Gelben Flusses deckt.

Damit ließe sich letztlich auch die Xia-Dynastie historisch besser einordnen, denn am Beginn der frühen Bronzezeit, also unmittelbar nach der Flut, dominierte die Erlitou-Kultur die Region am Hwang Ho – und diese könnte, so eine verbreitete, aber bislang unbestätigte Theorie, die archäologischen Überreste der Xia-Dynastie repräsentieren. (tberg, 4.8.2016)